Hugo Stein und die Lagerhäuser. Rustenschacherallee 42/Böcklinstraße 65 und Franzensbrückenstraße/Vivariumstraße (1928)

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Seltenes Bild: Ein Blick in die Franzensbrückenstraße mit dem Praterstern, dem Tegetthoff-Denkmal, der Verbindungsbahn und, links daran angrenzend, der Lagerhausanlage (vor 1907; ÖNB/AKON)

Unablässig und mit höchster Konzentration arbeitet Hermann Broch an seinen Texten. Später werden sie in die Romantrilogie Die Schlafwandler einfließen. Weiß der Schriftsteller von den erheblichen Umwälzungen, die seinen Onkel August Schnabel beschäftigen? Broch nennt ihn »Gustl«, Schnabel ist der Bruder seiner Mutter [1].

Es sind die Lagerhäuser an der Franzensbrückenstraße, die »Gustls« uneingeschränkte Aufmerksamkeit beanspruchen. Dunkel und wuchtig ragen sie zwischen Verbindungsbahn und Hauptallee empor, ein riesiger Gebäudekomplex, den man nur selten auf Ansichtskarten wiederfindet. Wenig verwunderlich, eigentlich: Die Anlage bildet einen irritierenden Störfaktor in der akzentuierten Erzählung vom bunten Leben rund um das weltberühmte Riesenrad. Ja, man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie von den Wiener Touristikern immer schon versteckt wurde.

Als Eigentümerin des für die Infrastruktur der Donaumetropole so bedeutenden Unternehmens, das von der k.k. Wiener Handelsbank für den Produkten- und Warenverkehr noch vor seinem kommunalen Pendant gegründet wurde [2] und für dessen Erscheinungsbild auch Wilhelm von Flattich, der Architekt des Südbahnhofes, gesorgt hatte, agiert die Erste österreichische Aktiengesellschaft für öffentliche Lagerhäuser. August Schnabel ist Vizepräsident des Verwaltungsrates. Er … WEITERLESEN.

Exkurs: Auf der Hohen Warte

Villa Auspitz, Hohe Warte, 1930
Thronend auf der Hohen Warte: Die Sommervilla des Wiener Bankiers und Kunstsammlers Stefan Auspitz, ca. 1930.

Als die Vorstellung an der Staatsoper ihrem Höhepunkt zustrebt, treibt der leblose Körper von Ludwig Schüller auf der dunklen Donau, vorbei an Klosterneuburg, langsam Richtung Wien. Es ist ein lauer Abend, der Samstag vor Pfingsten, warmer Föhnwind begleitet den träge fließenden Strom. Er habe Dr. Schüller noch um ca. 19 Uhr gesehen, wird später ein Angestellter der implodierten Privatbank zu Protokoll geben. Dr. Schüller, so der Angestellte – sein Name war Rudolf Szabo – weiter, hätte den Gastgarten eines Lokales nahe der Bahnstation Kritzendorf betreten, den Gruß des dort zufällig weilenden Szabo nur flüchtig erwidert, danach die Restauration unvermittelt wieder verlassen und sich zum Strandbad entfernt. Ein weiterer Zeuge wird die ermittelnden Behörden überdies auf einen Schuss aufmerksam machen, der um etwa 20 Uhr am Donauufer abgegeben worden sei. Besagter Zeuge habe dem jedoch keine Bedeutung beigemessen, da sich in in dieser Gegend schließlich auch mehrere Jagdreviere befänden.

In der Staatsoper senkt sich der Vorhang. Die Sopranistin Margit Schenker-Angerer, eben noch als Dorota in Schwanda, der Dudelsackpfeifer vom Auditorium beklatscht, begibt sich in ihre Garderobe. Jaromir Weinbergers neues Musiktheater hatte einige Monate zuvor seine … WEITERLESEN.

Franz Kafkas Wiener Verwandtschaft: Richard Lanner, Rustenschacherallee 30 (1906–1923), Teil 2

Villa Lanner (später Heriot), 1907
Kurz nach der Fertigstellung: Die von Richard und Berta Lanner erbaute Villa in der Rustenschacherallee 30. Später wohnten darin Peter Habig, Ernst Lanners Schwager, sowie der französische Warenhauserbe Auguste-Olympe Hériot und seine Ehefrau Hilda (ab 1946 die Gattin von Louis Rothschild). Im Hintergrund links zu erkennen: Die geschichtsträchtige Villa Rustenschacherallee 28.

Prolog

»Nein, um Gottes Willen, ich bin noch nicht verlobt!«, schrieb Thomas Mann im Juni 1904 hektisch nach Wien. Die dramatische Post erging an Richard Schaukal, Ministerialbeamter, Schriftsteller und Schwiegersohn des enorm wohlhabenden mährischen Hutfabrikanten Johann Hückel (Neutitschein/Nový Jičín). Noch musste sich der offenbar sehr interessierte Schaukal einige Monate gedulden, bis schließlich Anfang Oktober die erlösende Frohbotschaft aus Bayern eintraf: Thomas Mann informierte den von ihm sehr geschätzten Korrespondenzpartner offiziell über seine Verlobung mit Katia Pringsheim. Das glückliche Paar hatte sich durch die gemeinsame Bekannte Elsa Bernstein, Münchner Schriftstellerin und Salonnière, kennen gelernt. Elsas Vater Heinrich Porges, bekanntlich ein enger Mitarbeiter Richard Wagners, wurde in diesem Blog ja schon prominent erwähnt: Als, wir erinnern uns, Schwager von Ottilie Hirschl-Porges-Natter, die im Pratercottage aufgewachsen und viele Jahre ansässig war [1].

Im selben Jahr, 1904 also, las Franz Kafka in Prag erneut Thomas Manns Novelle … WEITERLESEN.

Almas Tagebuch – Buchtipp zu Franz Kafkas Wiener Verwandtschaft, Teil 1

Als kurze Anmerkung zum letzten Blogpost noch ein Buchtipp:

Alma Mahler-Werfel. Tagebuch-Suiten 1898–1902 (Hrsg. Antony Beaumont und Susanne Rode-Breymann; S. Fischer Verlag, 1997)

Hier finden sich unzählige Einträge zum Wiener Großindustriellen Eduard Lanner (Julie Kafkas Cousin, Richard Lanners Onkel) und dessen Familie.

Franz Kafkas Wiener Verwandtschaft: Richard Lanner, Rustenschacherallee 30 (1906–1923), Teil 1

»Der Vater war in Humpoletz geboren, arbeitete als Tuchmacher und heiratete meine Mutter, die das Haus in Podebrad so auch das Geschäft als Mitgift erhielt. Der Vater hatte vier Brüder und eine Schwester. Die Brüder waren reiche Leute, sie hatten einige Tuchfabriken, hießen anstatt Löwy Lanner und waren getauft, der jüngste Neffe des Vaters war der Besitzer des Brauhauses in Koschier. Er war getauft und hieß auch anstatt Löwy Lanner. Er starb im sechsundfünfzigsten Lebensjahr.«
(Julie Kafka, geb. Löwy, Mutter von Franz Kafka, ca. 1931)[1]

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Regelmäßiger Gast im Wiener Salonblatt: Sidonie Lanner, deren Mann Alexander Julie Kafkas Cousin war und das Brauhaus in Košíř (Prag) besaß.

Ist es nicht verblüffend? Ausgerechnet eine Adels- und Society-Postille liefert wertvolle Informationen zu Franz Kafkas in Wien ansässiger Verwandtschaft – wer hätte das gedacht? Im Wiener Salonblatt nämlich wurde am 29. Juni 1912 ein kurzer Nekrolog publiziert, der einem angesehenen Mitglied der hiesigen Gesellschaft gewidmet war: »Am 20. d. M. nachts verstarb hier im Sanatorium Löw der Großindustrielle Herr Eduard Lanner im 64. Lebensjahre. Er war Präsident der Puch-Aktiengesellschaft und des Verbandes der Automobil-Industriellen und er erfreute sich in großindustriellen Kreisen reicher Wertschätzung. […] Herr Eduard Lanner war der Bruder des … WEITERLESEN.

1898/99: Rudi, die Praterfee und Heinrich von Liechtenstein (ca. Schüttelstraße 7–9)

»Er wurde auf Magnatenschlösser eingeladen, reiste mit einem Fürsten nach Afrika zur Löwenjagd und machte sich in witzig-feschen Aquarellen über Fürsten, Löwen, Pferde, Jockeys, diese ganze Welt, die er so liebte, und wohl auch ein wenig über sich selbst, lustig.«
(Arthur Schnitzler über Rudi Pick, in: Jugend in Wien, 1915)

»Er war mit einem Fürsten Liechtenstein befreundet.«
(Heinrich Benedikt über Rudi Pick, in: Damals im alten Österreich, 1979)

Am Abend des 1. April 1898 veranstaltete Moritz Bauer, Direktor des Wiener Bankvereins, Vater der damals 17-jährigen und später von Klimt in Gold verewigten Adele, eine gesellige Soirée. Zu jenen, die der Bankier in seiner Wohnung am Franzensring 18 (heute Universitätsring 8) begrüßen durfte, zählte auch ein lieber Freund des Gastgebers, ein witzig-amüsanter Gesellschaftslöwe, ein Mann, den ganz Wien kannte, ein Mann, dem dieser Abend zum Verhängnis wurde: Der Komponist Oscar Hofmann, 44 Jahre und unverheiratet, hatte während des Soupers plötzlich über Übelkeit geklagt, bald danach war er in Ohnmacht gefallen. Der von den schockierten Anwesenden rasch herbeigerufene Rettungsarzt ließ Hofmann schließlich in dessen Wohnung bringen – der Komponist (und Kaufmann) lebte bei seiner Mutter in der Jasomirgottstraße 5 [1] -, wo er um 1.00 Uhr morgens an … WEITERLESEN.

Der Ehrenbürger von Ostrau und die Katzen: Victor Lustig, Böcklinstraße 61, ca. 1911-1918

Oderberg 1, Vorbahnhof

Oderberg: Gigantische Bahnhofsanlage, Ölraffinerie, Chemieindustrie, rauchende Fabrikschlote. In unmittelbarer Nähe: Die riesigen Witkowitzer Eisenwerke, wo tausende Menschen an glühenden Hochöfen ihren Lebensunterhalt erarbeiten. Und auch, nur 8 km entfernt: Das zwischen Klassizismus und Neorenaissance pendelnde Schloss Schillersdorf (Zámek Šilheřovice), Mitte der 1840er Jahre von Salomon von Rothschild erworben und nun im Besitz seines Wiener Urenkels Alfons (Alphonse), Schillersdorf, ein beliebter Treffpunkt der k.u.k. Society, seit Jahrzehnten berühmt vor allem durch seine Jagdgesellschaften. Ebenfalls im näheren Umkreis zu finden: Schloss Beneschau (Dolní Benešov), das Anwesen von Louis von Rothschild – er ist, im Gegensatz zu seinem Bruder, auch mit den geschäftlichen Belangen von Witkowitz befasst.

Victor Lustig kennt das alles; folgerichtig war er daher auch Teil jener schillernden Runde, die sich 1911 im Wiener Palais Rothschild versammelte, um Albert, dem verstorbenen Patriarchen, die letzte Ehre zu erweisen. Lustig wirkte als Bürgermeister von Oderberg (Bohumín), diesem für die ausgedehnten Industriegebiete in Mähren und Schlesien so wichtigen Verkehrsknotenpunkt – die Stadt wurde schon 1847 an das Netz der Kaiser Ferdinands-Nordbahn angeschlossen. Es gibt hier, wie im fernen Wien, einen Naschmarkt und auch eine Ringstraße. Im Jahr 1900 wurde, endlich, eine eindrucksvolle Synagoge eröffnet, entworfen[1] von … WEITERLESEN.

»Der Weltkrieg brach ihr das Herz.« Dorothea Gerard, Böcklinstraße Nr. 53 (und Nr. 86?), ca. 1912-1915

War Dorothea Gerard (1855-1915) die Rosamunde Pilcher ihrer Zeit? Viele dürften dies so sehen. Und dennoch: In Gerards unzähligen, einst sehr erfolgreichen Romanen, die sie allesamt auf Englisch verfasste und u. a. in London publizierte, lässt sich nicht nur einmal Sozialkritik erkennen, auch der wachsende Antisemitismus wird von ihr thematisiert. Was aber weiß man über diese Frau, die Lehmanns Adressbuch erstmals 1912 in der Böcklinstraße anführte?

Dorothea Gerard-Longard de Longgarde

Wie ihre hier schon erwähnte Schwester Emily, die Bram Stoker Informationen zu seinem Schauerroman Dracula lieferte, wurde sie im nebelverhangenen Schottland geboren. Katholischer Adel; seit frühester Kindheit waren die beiden Mädchen überdies befreundet mit Nachfahrinnen von Karl X., dem geflüchteten französischen König und Schwager der auf dem Schafott verstorbenen Habsburgerin Marie-Antoinette. Schulzeit im Grazer Sacré Coeur, danach Vermählung mit dem k.u.k. Offizier Julius Longard von Longgarde. Zeitweise Zusammenarbeit mit Emily – später übrigens eine gute Freundin von Mark Twain – im Rahmen eines Autorinnen-Duos. In der Folge erarbeitete sich vor allem Dorothea, die offenbar der quälenden Monotonie staubiger k.u.k. Garnisonsstädte auf schreibende Weise zu entkommen trachtete, eine große Fangemeinde: Sie veröffentlichte Dutzende Werke, die zumeist um verwickelte Liebesdramen kreisen und gemeinhin unter dem Kürzel »viktorianisch« subsummiert werden. Häufig sind diese Romane, Recha etwa, oder auch OrthodoxWEITERLESEN.