1898/99: Rudi, die Praterfee und Heinrich von Liechtenstein (ca. Schüttelstraße 7–9)

»Er wurde auf Magnatenschlösser eingeladen, reiste mit einem Fürsten nach Afrika zur Löwenjagd und machte sich in witzig-feschen Aquarellen über Fürsten, Löwen, Pferde, Jockeys, diese ganze Welt, die er so liebte, und wohl auch ein wenig über sich selbst, lustig.«
(Arthur Schnitzler über Rudi Pick, in: Jugend in Wien, 1915)

»Er war mit einem Fürsten Liechtenstein befreundet.«
(Heinrich Benedikt über Rudi Pick, in: Damals im alten Österreich, 1979)

Am Abend des 1. April 1898 veranstaltete Moritz Bauer, Direktor des Wiener Bankvereins, Vater der damals 17-jährigen und später von Klimt in Gold verewigten Adele, eine gesellige Soirée. Zu jenen, die der Bankier in seiner Wohnung am Franzensring 18 (heute Universitätsring 8) begrüßen durfte, zählte auch ein lieber Freund des Gastgebers, ein witzig-amüsanter Gesellschaftslöwe, ein Mann, den ganz Wien kannte, ein Mann, dem dieser Abend zum Verhängnis wurde: Der Komponist Oscar Hofmann, 44 Jahre und unverheiratet, hatte während des Soupers plötzlich über Übelkeit geklagt, bald danach war er in Ohnmacht gefallen. Der von den schockierten Anwesenden rasch herbeigerufene Rettungsarzt ließ Hofmann schließlich in dessen Wohnung bringen – der Komponist (und Kaufmann) lebte bei seiner Mutter in der Jasomirgottstraße 5 [1] -, wo er um 1.00 Uhr morgens an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb [2].

Illustration Oskar Hofmann, 9. April 1898
Oscar Hofmann, der Komponist der Praterfee, und Pauline von Metternich. Figaro, 9. April 1898.

Hofmanns Freunde in der Wiener High-Society, katholische Aristokraten ebenso wie jüdisches Großbürgertum, zeigten sich erschüttert. Fürstin Pauline Metternich und Mitglieder der Familie Königswarter sandten Kränze (insgesamt waren es mehr als hundert!), Johann Strauss, der Walzerkönig, kondolierte, bei der Einsegnung in der Peterskirche wurden, neben viel Prominenz aus der Banken- und Kulturszene, auch die beiden Todesco-Schwiegersöhne Prinz Philipp von Liechtenstein und Leopold von Lieben (Präsident der Börsekammer, Urgroßvater des Nobelpreisträgers Martin Karplus) gesichtet, außerdem natürlich der tief betroffene Moritz Bauer sowie der Bankier Otto Wiedmann (Unionbank), ein Bruder des in diesem Blog schon erwähnten Heinrich Wiedmann (Böcklinstraße 35).

Sie alle erinnerten sich ergriffen an den beliebten Komponisten der Praterfee, zweifellos eines von Hofmanns bekanntesten Werken. Zu eben diesem Walzer war in der Neuen Freien Presse auch eine eilige Richtigstellung erfolgt: »Herr Dr. Pferhofer [3] ersucht uns zu konstantieren, dass er nicht der Verfasser des Liedertextes zur Praterfee ist, welchen der heute verstorbene Herr Oskar Hofmann in Musik gesetzt hat; der Text stammt aus der Feder des Malers Herrn Rudolph Pick.«

Rudi Pick also.

Rudi: schlank, blond, heiser, liebenswürdig, bezwingend und undurchdringlich. Rudi, der elegante, doch leider auch immer wieder von Geldnöten geplagte Lebemann. Rudi, dessen berühmter Vater Gustav das Fiakerlied, und somit eine inoffizielle Wiener Hymne, verfasst hatte. Rudi, dessen Wirkung auf Frauen enorm war, was auch – Stichwort: Olga Waissnix – sein eifersüchtiger Verwandter Arthur Schnitzler hilflos zur Kenntnis nehmen musste. Rudi, der mit einem Mann befreundet war, welcher ebenfalls im Bekanntenkreis des Komponisten Hofmann zu finden war [4]: Mit Heinrich von Liechtenstein, dem Abenteurer, Fotopionier, Tennissportler und späteren Fürstgroßprior des Malteser Ritterordens, ein durchaus schillernder Bewohner des Pratercottage (erstmals 1884 in Lehmanns Adressbuch angeführt), der – wir erinnern uns an Baron Gustav von Springer und die Brüder Baltazzi – auch für die Einrichtung des Jockey-Clubs im Philipphof sorgte und im Polizeiakt zur Mayerling-Tragödie als möglicher Liebhaber von Mary Vetsera auftaucht.

Knapp zehn Monate nach den Hofmann’schen Trauerfeierlichkeiten – und einige Monate nach dem Attentat auf Kaiserin Elisabeth – jedenfalls verabschiedete sich das Duo Pick-Liechtenstein aus Wien und reiste gen Süden. Das Grazer Volksblatt berichtete am 24. Jänner 1899:

»Prinz Heinrich Liechtenstein hat neuerdings eine Jagdreise nach Afrika unternommen. Die Expedition geht diesmal ins Somali-Land. In Begleitung des Prinzen befindet sich der besonders durch seine heiteren Jagdbilder bekannte Maler Rudolf Pick. Prinz Liechtenstein besitzt in seinem Palais am Schüttel in Wien wohl eine der großartigsten Trophäensammlungen, welche überhaupt existieren. In derselben sind Löwen-, Tiger-, Leopardendecken und die gewaltigen Stoßzähne afrikanischer Elefanten ebenso vertreten wie die prächtigsten Rehgehörne und die kapitalsten Geweihe, welche europäische Hirsche unserer Zeit tragen.«

Von »Hirschen mit mächtig Geweih« erzählt auch die schöne, elfenhafte Praterfee in besagter Walzerelegie. Sie erinnert an den Makart’schen Festzug (»ein Farbenrausch«), an die Weltausstellung (»als unten in grünender Au die Völker der Erde im friedlichen Streit«), an Schlittenfahrten und an Prachtequipagen. »Tief drunten im Prater, der Welt ganz entrückt, von alten Kastanien umrauscht« – es sind sehnsuchtsvolle und sehr romantische Zeilen, die von Oscar Hofmann in Musik gegossen wurden. Ganz entschwunden ist die Praterfee allerdings noch nicht: Heute ist ein Restaurant an der Hauptallee nach ihr benannt. Rösser, wie sie im nostalgischen Walzer besungen werden, findet man in gewisser Weise auch hier: Im Gastgarten stehen Spielzeugpferde.

[1] Siehe Neue Freie Presse, 3. April 1898 (online auf ANNO). Dort findet sich übrigens auch die Traueranzeige für den berühmten Wiener Pathologen Salomon Stricker, der ebenfalls am 2. April 1898 verstorben ist.

[2] Siehe u. a. Prager Tagblatt, 3. April 1898 (online auf ANNO).

[3] Vermutlich der Lustspieldichter Dr. Arthur Pferhofer.

[4] Siehe zum Beispiel die Berichterstattung zu einem Charity-Event im Palais Schwarzenberg, das Oscar Hofmann, Heinrich von Liechtenstein (als Apoll) und auch Mary Vetseras Onkel Heinrich Baltazzi gemeinsam auf der Bühne versammelte (1886). Ebenfalls erwähnt werden soll eine Wohltätigkeitsveranstaltung im Palais Liechtenstein (1010 Wien), die Pauline von Metternich initiierte: Am Programm standen u. a. Couplets von Oscar Hofmann (7. und 8. April 1888).

LITERATUR
Arthur Schnitzler, Jugend in Wien (Verlag Fritz Molden, Wien-München-Zürich, 1968)
Heinrich Benedikt, Damals im alten Österreich. Erinnerungen (Amalthea, Wien-München 1979)