Bauarbeiterinnen auf der Weißgerberlände, ca. 1905/06

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Oben zu sehen: Tina Blaus an eine Sozialreportage gemahnendes Bild An der Weißgerberlände (high-res). Rechts im Hintergrund erblickt man die Schüttelstraße mit der Mühle und dem Neuen Wiener Tattersall (Reitstall und Pferdehandel); in letzterem logierten ab ca. 1909 auch der Philosoph Rudolf Eisler und seine Familie. Die Eislers wohnten zur Entstehungszeit des Gemäldes übrigens nur wenige Minuten von der Baustelle entfernt (Kolonitzgasse 11, siehe Lehmanns Adressbuch). Tina Blau jedenfalls war wohl besonders motiviert, die hart arbeitenden Frauen (Mörtelweiber wurden sie genannt, oder auch Ziegelschupferinnen) auf Leinwand zu bannen: Bis 1905 hatte sie in dem der Baustelle benachbarten Wohnhaus Rasumofskygasse 2 (Lehmanns Adressbuch) gelebt (ab 1907 wird sie mehrere Jahre im Pratercottage, in der Halmgasse nämlich, residieren).
Zur Bautätigkeit im Weißgerberviertel nachfolgend auch ein Text aus dem Neuen Wiener Tagblatt, 24. Dezember 1907, Seite 4 (online auf ANNO):

Das neue Viertel am Weißgerberquai

Wir haben vor einiger Zeit darüber berichtet, dass in der Gegend zwischen der Franzensbrücke und der Sophienbrücke ein neues Quaiviertel im Entstehen begriffen ist. Die unmittelbaren Anwohner dieser Gegend haben sich jetzt an das magistratische Bezirksamt des dritten Bezirkes und an das Straßenbauamt der Gemeinde Wien mit einer Eingabe gewendet, in der gebeten wurde:

l. um die Regulierung der Weißgerberlände vom Hause Nr. 54 bis zum Hause 4;
2. um Umänderung des Namens Weißgerberlände in »Weißgerberquai« oder
»Weißgerberpromenade«.

In der Begründung dieses Ansuchens heißt es: »Die Weißgerberlände gehört zu jenen Teilen Wiens, die trotz unmittelbarer Stadtnähe zu den vernachlässigtesten zählen. Obgleich weit über die Weißgerberlände hinaus die Verbauung bereits vorgeschritten ist, besteht die Weißgerberlände, soweit sie nicht auch schon verbaut ist, aus einem Treppelweg, Planken und Sand- und Steinlagerplatten. Ein solcher Zustand, acht Gehminuten von der Ringstraße, sollte schon im Interesse des Stadtbildes nicht geduldet werden. Die Sandplätze bilden aber auch eine Gefahr für die Gesundheitsverhältnisse der umliegenden Anwohner, denn in den Sommermonaten werden ganze Staubwolken in die Wohnungen getragen. Die Sandplätze sind, so viel uns bekannt ist, bereits seit Mai gekündigt und das Regulierungsprojekt selbst ruht bereits seit länger als Jahresfrist auf dem Schreibpult des betreffenden Referenten. Es würde sich also nur darum handeln, ein etwas schnelleres Tempo in eine bereits beschlossene Angelegenheit zu bringen.

Die Umänderung des Namens wäre aus denselben Gründen zu empfehlen, die für die Umänderung der Bezeichnung Roßauerlände in Elisabethpromenade maßgebend waren. Mit dem Ausdruck ›Lände‹ bezeichnet der Sprachgebrauch ein weit von städtischen Ansiedlungen entfernt liegendes, idyllisch mit Sträuchern und Bäumen bewachsenes Flussufer. Mit dem Worte ›Weißgerberlände‘ erweckt man nicht den Eindruck eines städtischen, dicht bei der Innern Stadt befindlichen Gebietes, sondern den ländlicher Abgeschiedenheit weit vor den Toren der Großstadt. Der Name macht oft alles, und dass der Entwicklung des ganzen Komplexes der Name ›Weißgerberpromenade‹ oder ›Quai‹ förderlicher wäre als Weißgerberlände bedarf wohl keiner besonderen Versicherung. Die historisch gewiß interessante Tatsache, dass hier einst das Quartier der Weißgerber war, würde durch die Namensänderung nicht tangiert.«

Die Witkowitzer Eisenwerke – Denkschrift 1928

Wer niemals in Witkowitz gewesen ist, kann nicht ermessen, welchen
gigantischen Umfang diese Unternehmung besitzt. Sie umfasst eine ganze
Stadt, die größer als beispielsweise Znaim ist und die tief in das Weichbild
Mährisch-Ostraus ihre eisernen Arme hinüberstreckt.
Aus: Das Mammutwerk Witkowitz (Die moderne Welt, Heft 6, 1924. Online auf anno)

Aus mysteriösen Gründen sind die riesigen Witkowitzer Eisenwerke, die sich bis zu ihrer »Arisierung« im Besitz der Wiener Familien Rothschild und Gutmann (siehe Text zu Rositta Gutmann, Rustenschacherallee/Böcklinstraße) befanden, in Österreichs kollektivem Gedächtnis kaum präsent. Zu Unrecht: Einst war diese mährische Unternehmung von großer wirtschaftlicher Bedeutung – sowohl für die Donaumonarchie als auch für die 1. Republik – und beschäftigte zeitweise mehr als 30.000 Menschen. Selbst die Geschichte der heimischen Bahn wäre ohne Witkowitz/Vitkovice, das, so der Plan in den Pioniertagen der nunmehrigen ÖBB, mittels rascher und leistungsfähiger Lokomotiven an Wien angeschlossen werden sollte, anders verlaufen. Die tschechische Nationalbibliothek hat im Zuge ihres Digitalisierungsprojekts nun zwei Foto-Broschüren der Eisenwerke online gestellt. Die erste stammt aus dem Jahr 1914, als Heinrich Wiedmann (ca. 1843-1916), der viele Jahre erfolgreich als Prokurist die Agenden der Gebrüder Gutmann vertrat, gemeinsam mit seiner Familie die Villa in der Böcklinstraße 35 bewohnte (seine Witwe wird auch nach seinem Tod dort ansässig bleiben). Die zweite, hier in kleinem Maßstab abgebildete, wurde 1928 publiziert und präsentiert, ähnlich wie schon das Büchlein aus 1914, neben den einzelnen Aspekten der Eisenproduktion auch mehrere dem Werk angeschlossene Arbeiter-Wohnhäuser, Ambulanzen und Erholungsheime sowie eine Schule und ein Waisenhaus. Eine Dekade später, nach dem »Anschluss« 1938, wurde Louis Rothschild unter anderem auch eben dieser Eisenwerke wegen – ihre Besitzanteile sollten den Familien Rothschild und Gutmann abgepresst werden – von der Gestapo am Wiener Morzinplatz ein Jahr in Haft gehalten.

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»Ich klage deshalb Herrn Karl Kraus an.« Leopold Spitzer, Schüttelstraße 51 (1901, 1902)

Ein Mann sieht rot: 1901 startete Karl Kraus via Fackel einen erbitterten Feldzug gegen »humoristische« Wiener Zeitschriften.

Im Mai 1901 machte Leopold Spitzer eine betrübliche Entdeckung: Er war ins Fadenkreuz geraten. »Kolorierte Pestbeulen der Journalistik«, »ekelhaft«, »humorfrei«, »Fachblätter für die Interessen der Prostitution« – in der neuen Ausgabe der Fackel wurde die Armada der Wiener Witzblätter mit höchst despektierlichen Attributen belegt und Spitzer, Herausgeber der solcherart diffamierten Zeitschrift Die Wespen, reagierte empört. Doch was tun gegen diese, aus seiner Perspektive, bösartige Brandrede? Spitzer wählte eine auch heute in Medienkreisen gern genutzte Taktik: Er ging vor Gericht.

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Prater, 1. Mai 1896


Friedrich Kaskeline (1863-?): 1. Mai. Der Einzug der Arbeiter in den Prater (1896)

LITERATUR
Josef Seiter, »Blutigrot und silbrig hell...« Bild, Symbolik und Agitation der frühen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Österreich (Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte, Sonderband 7), Böhlau 1991