Am alten israelitischen Friedhof. Emanuel Winternitz, Böcklinstraße 49 (ca. 1915 – ca. 1926), Teil III

Im alten israelitischen Teil des Wiener Zentralfriedhofes: Die von Kolo Moser vermutlich im Auftrag der Malerin Broncia Koller-Pinell entworfene Gruft der Familie Pineles (links) und das bescheidene Grab von Paul Winternitz (rechts). Foto: Eva Maria Mandl, März 2017.

Wien, 3. Juli 1921. Zwei Tage zuvor war der berühmte Urologe Otto Zuckerkandl verstorben; sein Begräbnis sollte, so wird erzählt, aufgrund einer letztweiligen Verfügung in aller Stille stattfinden. Die Trauerfeier für den Rechtswissenschaftler Stanislaus Pineles hingegen, die an diesem wettermäßig höchst wechselhaften Tag in der alten israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofes abgehalten wurde (auch Zuckerkandl wurde hier beerdigt), sie gestaltete sich zu einer öffentlichen Hommage an einen bemerkenswerten Intellektuellen, den die ihm sehr zugeneigte Wiener Fachpublikation Juristische Blätter in einer Mischung aus Wehmut und Empörung den »ewigen Privatdozenten« nannte: »Pineles war das Muster eines selbstlosen, nur seiner Wissenschaft lebenden Mannes – und ihm, gerade ihm, wurden die akademischen Ehren versagt, die kaum einem anderen so sehr gebührt hätten. Jede Fakultät hätte sich es zur Ehre anrechnen müssen, ihn zu ihren Professoren zu zählen; um seines lauteren Charakters nicht minder, wie um seiner wissenschaftlichen Leistungen willen.«1

Wir wissen nicht, ob sich Emanuel Winternitz von der Böcklinstraße zum Zentralfriedhof aufmachte und dort an … WEITERLESEN.

Zwischen Schüttelstraße, Haarmarkt und Stephansplatz, Teil I: 1833

Turner: Stephansdom und Lazanskyhaus, 1833
1833: Der Stock-im-Eisen-Platz, wie ihn Joseph Mallord William Turner sah. Sammlung: Tate (Digitalisat).

William Turner (1775–1851) richtet seinen Blick auf das eindrucksvolle Barockhaus neben dem gotischen Dom. Schnell bannt er die steinernen Silhouetten auf Papier, verewigt die beiden Wiener Gebäude in seinem Skizzenbuch, sie werden ihn auf der Weiterreise nach Venedig begleiten. Wir schreiben das Jahr 1833 und der rastlose englische Maler ist – wieder einmal – unterwegs auf dem Kontinent.

Rudolf von Alt: Stephansplatz (Detail), 1832
Barocke Bleibe neben dem Dom: Lazar Goldsteins Wohnhaus, 1832 von Rudolf von Alt auf Leinwand gebannt.

Weiß Lazar (Gotthold) Goldstein davon? Vermutlich nicht. Er logiert in dem von Turner beäugten Wohnhaus am Stock-im-Eisen-Platz, gleich neben dem Stephansdom, Konskriptionsnummer 875.1 Der in Wiens Gesellschaft bestens bekannte Großhändler ist Witwer, 1830 hatte er das Ableben seiner Gattin Henriette beklagen müssen. Nun, im Jahr 1833, als Malerfürst Turner den Stephansplatz umrundet, ist Goldstein mit der Hochzeit seiner Tochter Emma beschäftigt, Joseph Lanner wird sich dazu walzermäßig einbringen, Emmas Tochter Henriette wird sich später in Paris im Umfeld des Kunstmäzens Charles Ephrussi bewegen – in diesem Blog wurde davon ja schon berichtet. Es ist also eine bemerkenswerte Karriere, auf die Herr Goldstein, der Pater familias, zurückblickt, und sie war … WEITERLESEN.

Vorschau auf: Zwischen Schüttelstraße, Haarmarkt und Stephansplatz

Joseph_Lanner
Joseph Lanner, porträtiert von Philipp Steidler, ca. 1840 (Wikimedia Commons)

Schon bald wird hier ein neuer Text erscheinen. Als Vorschau dazu nun eine am 9. Dezember 1833 in der Wiener Zeitung publizierte Annonce, die auch eine Reise in die Musikgeschichte ermöglicht: Als sich Emma, Enkelin des Wiener Unternehmers Isak Löw Hofmann von Hofmannsthal (der Urgroßvater des Schriftstellers) und Tochter1 von Hofmanns langjährigem Kompagnon Lazar Goldstein, mit dem aus einer deutschen Bankiersfamilie stammenden Carl von Obermayer (viele Jahre später ein Teilhaber der Entreprise des pompes funèbres) vermählte, komponierte Wiens Musikstar Joseph Lanner zu diesem Anlass den Lock-Walzer. (Vielleicht hört man ihn ja auch einmal im Rahmen des Neujahrskonzertes?)

Emmas Tochter Henriette, die im August 1836, etwas mehr als zwei Jahre nach Joseph Lanners Walzer also, in Wien das Licht der Welt erblickte2, war später übrigens in der Pariser Kunstszene beheimatet: Als Gattin des Sammlers Gustave (Louis) Dreyfus, seinerseits ein Freund von Charles Ephrussi. Eigentlich würde man gerne mehr über sie wissen.

Joseph Lanner: Lock-Walzer, 1833
1 Quelle: Emma Goldstein auf Geni.com
2 Quelle:
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Bauarbeiterinnen auf der Weißgerberlände, ca. 1905/06

blau-weissgerberlaende-klein

Oben zu sehen: Tina Blaus an eine Sozialreportage gemahnendes Bild An der Weißgerberlände (high-res). Rechts im Hintergrund erblickt man die Schüttelstraße mit der Mühle und dem Neuen Wiener Tattersall (Reitstall und Pferdehandel); in letzterem logierten ab ca. 1909 auch der Philosoph Rudolf Eisler und seine Familie. Die Eislers wohnten zur Entstehungszeit des Gemäldes übrigens nur wenige Minuten von der Baustelle entfernt (Kolonitzgasse 11, siehe Lehmanns Adressbuch). Tina Blau jedenfalls war wohl besonders motiviert, die hart arbeitenden Frauen (Mörtelweiber wurden sie genannt, oder auch Ziegelschupferinnen) auf Leinwand zu bannen: Bis 1905 hatte sie in dem der Baustelle benachbarten Wohnhaus Rasumofskygasse 2 (Lehmanns Adressbuch) gelebt (ab 1907 wird sie mehrere Jahre im Pratercottage, in der Halmgasse nämlich, residieren).
Zur Bautätigkeit im Weißgerberviertel nachfolgend auch ein Text aus dem Neuen Wiener Tagblatt, 24. Dezember 1907, Seite 4 (online auf ANNO):

Das neue Viertel am Weißgerberquai

Wir haben vor einiger Zeit darüber berichtet, dass in der Gegend zwischen der Franzensbrücke und der Sophienbrücke ein neues Quaiviertel im Entstehen begriffen ist. Die unmittelbaren Anwohner dieser Gegend haben sich jetzt an das magistratische Bezirksamt des dritten Bezirkes und an das Straßenbauamt der Gemeinde Wien mit … WEITERLESEN.

Exkurs: Schloss Vöslau und Makarts Gemälde Die Falknerin, 1927

Schloss Vöslau, Moritz von Gutmann, Salon, 1927
Moritz von Gutmanns Salon: Schloss Vöslau, 1927.
Hans Makart
Üppig-historistisch: Hans Makarts Gemälde Die Falknerin (ca. 1880).

Es sollte nicht unerwähnt bleiben: Hans Makarts üppig-historistisches Gemälde Die Falknerin (ca. 1880), auf welches vor einiger Zeit in einem Blogpost zu Hanna Liechtenstein-Klinkosch (Böcklinstraße 39) verwiesen wurde, befand sich einst im Besitz des feinsinnigen Moritz von Gutmann, einem Mitglied der hier ebenfalls schon mehrfach genannten jüdischen Industriellenfamilie – es war, wie ein Artikel in der Zeitschrift Die Bühne am 20. Jänner 1927 ausführt, Teil seiner Kunstsammlung im Schloss Vöslau. Am 12. Jänner 1938, exakt zwei Monate vor dem »Anschluss«, wurde es, welch zynischer Vorgang, Göring von Hitler als Geburtstagsgeschenk überreicht. Nun ist es in der Neuen Pinakothek (München) zu sehen.

Der mehrseitige Bühne-Text, welcher auch Details zu weiteren Objekten der ehedem so berühmten Sammlung in Vöslau enthält (Frans Hals, Waldmüller, Gauermann, Danhauser, Moritz Daffingers Porträts von Gräfin Flora Fries etc.), ist auf Anno online abrufbar. Ein Eintrag zur Falknerin in der Lost Art Datenbank findet sich hier.

Schloss Vöslau, Moritz von Gutmann, Aufgang zur Bildergalerie,1927
Schloss Vöslau, 1927: Aufgang zu den Gemäldegalerien.

Der Prater, die Pferde und die Familie von Springer, Teil 2: Gustav von Springer, die Baltazzis und der Jockey-Club

Gustav von Springers Pferd Vinea (1884)
Gewann 1884 den Preis des Jockey-Clubs (Österreichisches Derby): Gustav von Springers Pferd Vinea.

Im September 2011 veräußerte Nathaniel de Rothschild via Christie’s das Interieur des Palais Abbatial de Royaumont. Doch bei dieser Auktion wechselten nicht einfach nur Gemälde, Grafiken und wertvolles Mobiliar den Besitzer. Rothschild, der Sohn von Élie de Rothschild und Liliane Fould-Springer, trennte sich auch von mehreren Objekten, die mit der Geschichte des österreichischen Reitsports eng verbunden sind – von Objekten, die sich ziemlich sicher einst im Springer-Schlössl (Wien-Meidling) befanden und vom Prater erzählen, von der Freudenau, von Gustav von Springer, dem Wiener Großindustriellen, Pferdezüchter und Rennstallbesitzer. Im Auktionskatalog zum Verkauf der Sammlung Fould-Springer – denn um diese handelte es sich – nämlich finden sich neben Eugen Felix’ Porträt Madame Léon Fould, geborene Ephrussi (Mutter von Eugène Fould, Gustav von Springers Schwiegersohn) sowie Gemälden von Rudolf Ribarz und Moritz Daffinger vor allem mehrere Bilder, die Baron Springers Pferde porträtieren und wohl in seinem Auftrag geschaffen wurden. Eines davon zeigt Palmyra, gemalt von Wilhelm Richter, das u. a. im deutschen Derby 1875 siegreich blieb. Wer mag wohl nun dieses Bild besitzen?

Gustav von Springer, 1902 (Foto: Anton Huber)
Gustav von Springer, ca. 1902. Foto: Anton Huber.

Als Palmyra schnaubend über die Rennbahnen galoppierte, war … WEITERLESEN.