Der Philanthropische Verein. Simon Steingraber, Böcklinstraße 45 (ca. 1914/15–1923)

Im Alten Jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs: Die Gräber von Emil Horner und Simon Steingraber; letzteres mit leider nicht mehr intaktem Grabstein. (Fotos: Eva Maria Mandl, 2017)

Emil Horner (1854–1910) war Prokurist bei S. M. v. Rothschild. Er wohnte in der Praterstraße 47 (siehe auch Lehmanns Adressbuch 1910; das Haus existiert nicht mehr). Er wurde als »herzensguter Mensch« beschrieben.

Simon Steingraber (1845–1923) war Prokurist bei den Gebrüdern Gutmann. Er wohnte unter anderem in der Mayerhofgasse 12 (damals ebenso übrigens wie auch Alexander Girardi, der Gustav Picks Fiakerlied so genial interpretierte) und in der Wohllebengasse 5. In Lehmanns Adressbuch 1915 wird schließlich erstmals die Villa Böcklinstraße 45 als seine Wohnadresse angegeben (in der neuen Nachbarschaft residierten auch mehrere Verwandte). Er wurde als »Menschenfreund von seltener Herzensgüte« beschrieben.

Lehmanns Adressbuch 1907: Simon Steingraber und Alexander Girardi wohnten beide im Haus Mayerhofgasse 12, 1040 Wien.
Lehmanns Adressbuch 1915: Simon Steingraber wohnt in der Villa Böcklinstraße 45 (die Straße hieß damals noch Valeriestraße). In diesem Haus lebte als Steingrabers Nachbar auch der renommierte Fotograf Hermann Clemens Kosel.

Diese liebevollen Charakterisierungen dürften wohl zutreffend sein. Horner und Steingraber nämlich zählten zu den maßgeblichen Persönlichkeiten der bedeutenden Wiener Wohltätigkeitsorganisation Philanthropischer WEITERLESEN.

Die Maschinenfabrik Andritz Actiengesellschaft, 1912/13

Das Areal der Maschinenfabrik Andritz Actiengesellschaft um 1908.1

Wir schreiben das Jahr 1912. Das Eckgebäude Kohlmarkt 1/Graben 18 in der Wiener Innenstadt wird von einer riesigen Reiterstatue dominiert. (Manche meinen, hier handle es sich um den polnischen König Jan Sobieski III., eine gewagte Interpretation, die andernorts strikt verneint wird.) Das 1896 errichtete Wohn- und Geschäftshaus beherbergt unter anderem den Parfüm- und Seifenproduzenten Nuphar, den k.u.k. Hoflieferanten mit seiner ins Romantische spielenden Inseratenkampagne. Und es beherbergt Büros der Maschinenfabrik Andritz Actiengesellschaft – ein steirisches Unternehmen, das unter dem Namen Andritz AG mehr als ein Jahrhundert später zu den weltweit führenden Maschinen- und Technologielieferanten zählen wird, mit rund 26.000 Mitarbeitern an über 250 Standorten in mehr als 40 Ländern.

In diesem besagten Jahr 1912 amtiert Heinrich Wiedmann (Villa Böcklinstraße 35), mächtiger Prokurist des Konzerns Gebrüder Gutmann, als Präsident des Verwaltungsrats. Carl von Ferstel (ein Bruder von Max, dem Architekten aus der nahen Stammgasse – d. h. auf der anderen Seite der Brücke –, über den hier in diesem Blog schon berichtet wurde) ist in leitender Position mit von der Partie. Die beiden Manager sind der Industriellendynastie Gutmann nicht nur beruflich, sondern auch verwandtschaftlich verbunden; so … WEITERLESEN.

Claire Wiener wird vermisst. Rustenschacherallee 40 (1914)

Die Ulica Ruska (Ruska-Straße) in Tarnopol, ca. 1910. [Siehe auch Google Street View, Mai 2015.]

Die Entfernung vom Bahnhof zur Stadt betrug einen halben Kilometer; den oftmals mit reichlich Gepäck beladenen Reisenden standen, falls gewünscht, Ein- und Zweispänner zur Verfügung – so ließ sich die Distanz definitiv besser überwinden. In Tarnopol selbst, der galizischen Stadt östlich von Lemberg und schon nahe der Grenze zum zaristischen Russland, gab es drei »Hotels ersten Ranges« (Puntschert; Landau; Gold), einige wenige empfehlenswerte Restaurants (etwa das Graeser im Hotel Puntschert mit Pilsner Bier auf der Getränkekarte; außerdem das Zakrzewski und das Giziecki), zwei Caféhäuser (Wiener Café und Theater-Café) oder auch den hübschen städtischen Garten mit einer Konditorei. Im Juli fand alljährlich ein berühmter Pferdemarkt statt. Und dann war da noch ein idyllisch am langgezogenen Teich angesiedeltes Schloss, das der k.u.k. Armee als Militärkaserne diente.

Diese wertvollen Details über die 1890er Jahre in der nunmehr ukrainischen Stadt entnehmen wir Adolf Inlenders verdienstvollem Werk Illustrirter Führer auf den k.k. Österr. Staatsbahnen für die Strecken: Lemberg-Krasne-Podwołoczyska, Krasne-Brody, Lemberg-Stanislau-Kolomea-Śniatyn-Czernowitz, Kolomea-Słoboda rungurska, Kolomea-Kniażdwór, Stanislau-Buczacz-Husiatyn, Stanislau-Woronienka, Podolische Bahnen.1 Als Inlender sein Buch verfasste, hatte Tarnopol, das heute Ternopil heißt, rund 26.000 … WEITERLESEN.

Der Starbiologe. Paul Kammerer, Schüttelstraße 29 (1907–1912)

Prolog

Als nachfolgende Zeilen, verfasst zu Jahresbeginn 1926 im oberösterreichischen Schloss Würting, schließlich in Druck gingen, weilte ihr Autor nicht mehr unter den Lebenden: Der international angesehene Biologe Paul Kammerer hatte sich, nachdem man ihn kurz zuvor einer Fälschung bezichtigte und damit ein enormer Wissenschaftskandal ausgelöst wurde, am 23. September 1926 erschossen.

»Gemeinsam waren wir zum Achten Internationalen Zoologenkongreß (1910) nach Graz gefahren. Beim Erwachen im Hotel sagte ich zu Przibram: ›Heute ist mein 30. Geburtstag!‹ – Worauf er: ›So werden Sie von jetzt an keine neuen Gedanken mehr haben! Alle selbstständigen Ideen werden vor dem 30. Jahre konzipiert; der Rest des Lebens dient dem Ausbau.‹«1

Paul Kammerer (1880–1926). Foto: Wikimedia Commons (George Grantham Bain Collection – Library of Congress).

Nicht einmal die Fahnenkorrektur jenes Buches, in dem diese persönlichen Erinnerungsschnipsel zu Hans Leo Przibram, dem Leiter der Biologischen Versuchsanstalt im Prater, einen prominenten Platz fanden, habe Kammerer vornehmen können, klagte Wilhelm (von) Gutmann (1889–1966), einer der engsten Freunde des lebensmüden Biologen und Hausherr des als Künstler- und Intellektuellenrefugium hoch geschätzten Schlosses Würting.2 Gutmann, dessen Bruder Hans – es wurde hier schon erwähnt – damals eine Villa in der Rustenschacherallee bewohnte, war auch Adressat eines Abschiedsbriefes … WEITERLESEN.

Die Gründer der Erlöserkirche Am Schüttel (1926)

Gründer der Kirche waren im Sinne der seinerzeitigen Beschlüsse:

Monsig. Dr. Hackenberg,
reg. Fürst Lichtenstein [sic!],
Baron Guttmann [sic!],
alle Vereinsmitglieder und
schließlich die beim Baue uneigennützig tätigen Unternehmer.

[…]

Es sei auch noch erwähnt, dass viele Schwierigkeiten, die bei dem Baue der Kirche entstanden, durch den Sektionschef Schneller, einem sozialdemokratischen Abgeordneten, dem sozialdem. Stadtrat Siegel sowie Vize-Bürgermeister Hierhammer behoben wurden.

Gründer der Erlöserkirche am Schüttel, Pfarrchronik-Fürst Liechtenstein
Gründer der Erlöserkirche am Schüttel, Pfarrchronik, Baron Gutmann
Gründer der Erlöserkirche am Schüttel, Pfarrchronik, Sektionschef


Quelle: Pfarrchronik, 1947

Exkurs: Schloss Vöslau und Makarts Gemälde Die Falknerin, 1927

Schloss Vöslau, Moritz von Gutmann, Salon, 1927
Moritz von Gutmanns Salon: Schloss Vöslau, 1927.
Hans Makart
Üppig-historistisch: Hans Makarts Gemälde Die Falknerin (ca. 1880).

Es sollte nicht unerwähnt bleiben: Hans Makarts üppig-historistisches Gemälde Die Falknerin (ca. 1880), auf welches vor einiger Zeit in einem Blogpost zu Hanna Liechtenstein-Klinkosch (Böcklinstraße 39) verwiesen wurde, befand sich einst im Besitz des feinsinnigen Moritz von Gutmann, einem Mitglied der hier ebenfalls schon mehrfach genannten jüdischen Industriellenfamilie – es war, wie ein Artikel in der Zeitschrift Die Bühne am 20. Jänner 1927 ausführt, Teil seiner Kunstsammlung im Schloss Vöslau. Am 12. Jänner 1938, exakt zwei Monate vor dem »Anschluss«, wurde es, welch zynischer Vorgang, Göring von Hitler als Geburtstagsgeschenk überreicht. Nun ist es in der Neuen Pinakothek (München) zu sehen.

Der mehrseitige Bühne-Text, welcher auch Details zu weiteren Objekten der ehedem so berühmten Sammlung in Vöslau enthält (Frans Hals, Waldmüller, Gauermann, Danhauser, Moritz Daffingers Porträts von Gräfin Flora Fries etc.), ist auf Anno online abrufbar. Ein Eintrag zur Falknerin in der Lost Art Datenbank findet sich hier.

Schloss Vöslau, Moritz von Gutmann, Aufgang zur Bildergalerie,1927
Schloss Vöslau, 1927: Aufgang zu den Gemäldegalerien.

Der Prater, die Pferde und die Familie Springer, Teil 4: Die Bergwerke in Jaworzno

Steinkohlengrube in Jaworzno. Zeichnung von Hugo Charlemont (Kronprinzenwerk, Band: Galizien, 1898)

Im Wiener Straßennetz finden sich einige ganz großartige Namen (1010, Stoß im Himmel, z.B., oder 1140, Grüne Stube). Vor wenigen Jahren gesellte sich nun auch 1020, An den Kohlenrutschen hinzu. Der so liebevoll betitelte Verkehrsweg im noch jungen Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof mündet in die ebenfalls neu geschaffene Krakauer Straße. Fürwahr eine interessante topografische Festschreibung, die zu einem Blick zurück verleitet:

Die Presse, 18. Februar 1869
»Seit einigen Wochen sind hier Gerüchte verbreitet, die Nordbahngesellschaft beabsichtige das große Kohlenbergwerk Jaworzno käuflich an sich zu bringen. Bis jetzt haben diese Gerüchte wenig Wahrscheinlichkeit an sich; aber schon die bloße Anregung des Gedankens erregt in industriellen Kreisen Besorgnis über die Großmachtstellung der Nordbahn im Kohlenrayon Krakaus, da die Nordbahn ohnehin das bedeutende Kohlenbergwerk Pechnik bei Jaworzno besitzt. Man befürchtet nämlich – ich weiss nicht, ob mit Recht – die Nordbahn werde durch den Ankauf Jaworznos gewissermaßen Monopolistin im Kohlenrayon Krakaus werden.«

Neues Fremden-Blatt, 15. Mai 1871
»Die Verhandlungen wegen des Verkaufes des ärarischen Kohlenwerkes Jaworzno haben zu einem definitiven Resultate geführt. Das Werk ist bereits an ein aus den Bankiers Springer, Schoeller, Gebrüder Gutmann bestehendes Konsortium verkauft worden. Als

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Der Prater, die Pferde und die Familie Springer, Teil 3: Die Genesis eines Konzerns

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Einst ein Teil des Fould-Springer-Konzerns: Die vom Wiener Baron Max Springer begründete Presshefe-Fabrik in Maisons-Alfort nahe Paris.

Kommerzialrat Theodor Lassner, leitender Direktor der AG für Chemische Industrie, wohnte in der Villa Böcklinstraße 35 – und hatte eine führende Rolle innerhalb der Baron Springer-Stiftung inne. Dr. Ernst Bachrach, bis zum Crash der Credit-Anstalt (1931) Direktor der Berndorfer Krupp-Werke, wohnte in der Villa Böcklinstraße 47 – und saß im Verwaltungsrat des Fould-Springer-Konzerns (Paris). Vor dem »Anschluss« 1938 residierten also zwei Manager nur wenige Häuser voneinander entfernt, die im Rahmen ihrer so unterschiedlichen Tätigkeit eng mit der Familie Springer verbunden waren. Lassner konnte in die USA flüchten, Bachrach wiederum war ab Ende Juli 1938 nicht mehr im Pratercottage gemeldet – vermutlich war er von den Nationalsozialisten gezwungen worden, seine Wohnung zu verlassen. Er lebte danach mehrere Wochen in der Villa seiner Schwester Emma Ehrenzweig (1190, Vegagasse 5; der renommierte US-amerikanische Rechtswissenschaftler Albert Armin Ehrenzweig war sein Neffe) und meldete sich am 22. August 1938 nach Prag ab. Dort verlieren sich Ernst Bachrachs Spuren.

Beide Männer verfügen über bemerkenswerte Biographien. Auf diese wird zu einem späteren Zeitpunkt jeweils einzeln und ausführlich eingegangen werden; vorerst sollen, um sich einen allgemeinen Überblick zu verschaffen, kurz … WEITERLESEN.