Emil Horner (1854–1910) war Prokurist bei S. M. v. Rothschild. Er wohnte in der Praterstraße 47 (siehe auch Lehmanns Adressbuch 1910; das Haus existiert nicht mehr). Er wurde als »herzensguter Mensch« beschrieben.
Simon Steingraber (1845–1923) war Prokurist bei den Gebrüdern Gutmann. Er wohnte unter anderem in der Mayerhofgasse 12 (damals ebenso übrigens wie auch Alexander Girardi, der Gustav Picks Fiakerlied so genial interpretierte) und in der Wohllebengasse 5. In Lehmanns Adressbuch 1915 wird schließlich erstmals die Villa Böcklinstraße 45 als seine Wohnadresse angegeben (in der neuen Nachbarschaft residierten auch mehrere Verwandte). Er wurde als »Menschenfreund von seltener Herzensgüte« beschrieben.
Diese liebevollen Charakterisierungen dürften wohl zutreffend sein. Horner und Steingraber nämlich zählten zu den maßgeblichen Persönlichkeiten der bedeutenden Wiener Wohltätigkeitsorganisation Philanthropischer Verein (1879–1938); ihr engagiertes Wirken sollte diese beiden Männer sicherlich für immer in der Wiener Sozialgeschichte etablieren. Das karitative Duo traf seine Entscheidungen, die in hunderttausenden Fällen Hilfe leistete, namens seiner Arbeitgeber, der Häuser Rothschild und Gutmann, den wichtigsten Financiers des Philanthropischen Vereins. Die Gutmanns ehrten das Andenken an Simon Steingraber – der mit der berühmten Industriellendynastie vermutlich auch entfernt verwandt war – nach dessen Ableben dementsprechend mit einer ganz besonderen Geste: Er habe sich »mit rührender Selbstlosigkeit in den Dienst der Gesamtheit« gestellt, konnte man im Neuen Wiener Journal am 22. Februar 1923 lesen. Und weiter: »Auf humanitärem Gebiete hat er dauernde Werte geschaffen. Nichts könnte für ihn bezeichnender sein als der Umstand, dass er 31 Jahre hindurch keine einzige Sitzung des Philanthropischen Vereins, dem er vorstand, versäumt hatte. Um das Gedenken an die selbstlose, edle Persönlichkeit Steingrabers würdig zum Ausdruck zu bringen, wurde von dem Inhaber der Firma Guttmann [sic!], der er sechs Jahrzehnte als Beamter angehörte, eine nach dem Verblichenen benannte Stiftung errichtet und dem Philanthropischen Verein übergeben.«
Steinerne Zeugen für das Wirken des Vereins findet man heute in der Brigittenau und in Ottakring. Hier, in der Universumstraße 62 bzw. in der Wiesberggasse 13 (bis Mai 1913: Herbststraße 141), stehen zwei bemerkenswerte, mit Rohziegeln verkleidete Gebäude, die durch eine Initiative der Wohltätigkeitsorganisation – und angesichts der drückenden Wohnungsnot – in den Jahren 1902 und 1912 als rettende Asyle für obdachlose Familien errichtet wurden. Um für diese konkrete Bautätigkeit die Kräfte zu bündeln und Spenden aufzutreiben, hatte der Philanthropische Verein 1899 einen Unterverein ins Leben gerufen, den Verein Heim für obdachlose Familien.
Neues Wiener Journal, 24. Oktober 1899, S. 5 (online auf ANNO):
Der Philanthropische Verein hat vor einiger Zeit schon eine Aktion zu Gunsten der Errichtung eines Heimes für obdachlose Familien in Wien eingeleitet. Für gestern berief er in den Magistratssitzungssaal eine Versammlung zur Konstituierung eines Vereines, welcher dieses humanitäre Projekt ins Leben rufen soll. Den Vorsitz führte Dr. Daum (der Anwalt und Politiker Adolf Daum, Anm.), als Vertreter der Gemeinde waren Magistratssekretär Dr. Weiskirchner (der spätere Wiener Bürgermeister Richard Weiskirchner, Anm.) und Gemeinderat Bock erschienen. Das Bankhaus S. M. von Rothschild hatte als Delegierten Baurat Stiaßny (der Architekt Wilhelm Stiassny, Anm.), die Firma Gebrüder Gutmann Herrn Steingraber entsendet.Der Vorsitzende bezeichnete es als hauptsächlichste Aufgabe der Armenpflege, der Wohnungsfrage besondere Fürsorge zuzuwenden. Es gehöre zu den traurigsten Erscheinungen in Wien, dass zahlreiche Familien mit Kindern oft lange kein Obdach erhalten oder oft nur ganz mangelhafte, höchst ungesunde Unterkunft finden können. Im zehnten Bezirke zum Beispiel stehen zwei Drittel der sogenannten »Bettstellen« vor der Delogierung wegen Zinsrückstandes. Zehn bis vierzehn Percent der Bewohner im 10., 11., 12., 16. und 17. Bezirke sind in übervölkerten Wohnungen untergebracht. Abhilfe tue dringend not, besser als Geld für Zinsabgabe sei die Besorgung einer Unterkunft für Familien auf kurze Zeit, bis sie eine passende Wohnung oder Erwerb finden. Die Firma Gutmann spendete 20.000 fl., S. M. v. Rothschild 10.000 fl., im Ganzen wurden bisher 50.000 fl. aufgebracht, so dass die Konstituierung des Vereines erfolgen könne.
Die handelnden Personen der beiden Vereine waren teilweise ident, so fungierte im Verein Heim für obdachlose Familien etwa Simon Steingraber als Schatzmeister. Als Geschäftsführer scheint Anfang 1902, in jenem Jahr, als das Haus in der Universumstraße seine Pforten öffnete, an seiner Seite der hier in diesem Blog schon erwähnte Felix Freiherr von Oppenheimer (1874–1938), ein Freund von Hugo von Hofmannsthal, auf.
Die Planungsphase betreffend das Heim in der Brigittenau verlief zwar finanziell ersprießlich, parallel dazu waren Simon Steingraber et al. jedoch gezwungen, selbst auf Herbergssuche zu gehen. Die alten Räumlichkeiten im Rathaus (Lichtenfelsgasse 2) wurden aufgegeben und der Philanthropische Verein sowie der Verein Heim für obdachlose Familien siedelten sich ca. Mitte/Ende 1901 im Haus Maximilianplatz 4–5 (heute Rooseveltplatz) an; man war somit Nachbar des Architekten, Zionisten und Theodor Herzl-Freundes Oskar Marmorek, der in diesem repräsentativen Gebäude wohnte und möglicherweise bei der Übersiedlung auch eine gewisse Rolle spielte (von ihm entworfene Villen kann man übrigens in der Böcklinstraße finden). Es war ein hoffnungsfroh begonnener Aufenthalt neben der Votivkirche, der sich allerdings schon rasch als äußerst kurzes Gastspiel entpuppte: Die stete Begegnung mit den verarmten Bittstellern sei den übrigen Hausbewohnern »lästig« geworden, konnte man am 28. April 1902 im Illustrirten Wiener Extrablatt lesen. Weiter ging es also in die Lenaugasse 7, bis schließlich das eigene Haus in der Wickenburggasse 21 dem Philanthropischen Verein ab 1907 für knapp drei Jahrzehnte als Heimstätte diente (im Nachbargebäude wohnte übrigens 1912–1930 der bedeutende Rechtswissenschaftler Hans Kelsen).
Die besagten Obdachlosenheime in den Wiener Arbeiterbezirken 16 und 20 wurden allerdings nicht von Oskar Marmorek, sondern von Ernst von Gotthilf entworfen, jenem prominenten Architekten, dessen (vorwiegend gemeinsam mit Alexander Neumann geplante) Bauten – der ehemalige Wiener Bankverein am Schottentor (später BA-CA), die ehemalige Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft Am Hof (später Länderbank, heute Park Hyatt), die ehemalige Creditanstalt an der Freyung (heute Verfassungsgerichtshof) usw. – Teile der Wiener Innenstadt und den Schwarzenbergplatz in einem hohen Maße prägen. Das Asyl in der Universumstraße entstand in einer fruchtbaren Kooperation von Gotthilf und seinem Schwiegervater, dem viel beschäftigten Wiener Stadtbaumeister, Architekten, Politiker und Freimaurer Donat Zifferer ((1845–1909). Zifferer, Ehemann der Frauenrechtlerin und Philanthropin Rosa Zifferer (1851–1911), war eine beeindruckende Persönlichkeit, eine Kämpfernatur im Dienste des Philanthropischen Vereins, die unermüdlich bestrebt war, Geld für diese Wohltätigkeitsorganisation aufzutreiben.
Der Philanthropische Verein: Wie alles begann
Unter anderem in seinen Erinnerungen (Verlag S. Hirzel, Leipzig 1916) beschrieb Eduard Suess (1831–1914), weltberühmter Geologe und auch verantwortlich für die I. Wiener Hochquellenwasserleitung, übrigens anschaulich die tristen Zustände, die 1879 zur Gründung des Philanthropischen Vereins geführt hatten. Die Wohltätigkeitsorganisation war aufgrund einer Initiative von Wilhelm von Gutmann entstanden, der mit dem Großindustriellen bekannte und sozial engagierte Geologe war zudem von Beginn an mit dabei. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Familien Suess und Gutmann (sowie Rothschild) später auch abseits der Wohltätigkeit – beruflich/wirtschaftlich nämlich – miteinander verknüpft waren, und zwar durch Eduards Söhne Otto und Adolf, im Rahmen der Witkowitzer Bergbau-und Eisenhütten-Gewerkschaft und der Stramberg-Witkowitzer Zementwerke/Štrambersko-Vítkovické cementárny. (Mehr dazu wird in einem gesonderten Blogbeitrag erscheinen.)
Eduard Suess, der sozusagen im Schatten des pulsierenden Nordbahnhofes und in der unmittelbaren Nachbarschaft von Emil Horner wohnte (Afrikanergasse 9; auch sein Schwiegersohn, der Paläontologe Melchior Neumayr, lebte hier) – Eduard Suess also engagierte sich gemeinsam mit Simon Steingraber, Emil Horner und Donat Zifferer über viele Jahre für den Philanthropischen Verein. Schon bei der Konstituierung des Vereins im Dezember 1879 (Ort: Rittersaal des Niederösterreichischen Landhauses) hatte der Wissenschaftler eine mitreissende Rede gehalten, die danach, am 15. Dezember 1879, auch in der Presse rezipiert wurde. Die Wiener Zeitung wiederum rekapitulierte am 16. Dezember 1879 den Zweck des Philanthropischen Vereins: Man wolle das Elend verarmter Personen in Wien lindern, »ohne Rücksicht auf Geschlecht, Stand, Alter, Konfession, Nationalität und Staatsbürgerschaft«.
In späteren Jahren übernahm dann offenbar, so lässt sich jedenfalls den diversen Zeitschriften entnehmen, auch Fürst Johann II. Liechtenstein (1840–1929) eine tragende Rolle: In den Ausschüssen des Philanthropischen Vereins finden sich Abgesandte des Fürstenhauses, so etwa 1907, als der fürstlich Johann von Liechtenstein’sche Hofkanzleireferent Zdenko Hussa neben Simon Steingraber und Emil Horner aufscheint. Als Präsident war damals nach wie vor Markgraf Alexander Pallavicini tätig.
Nachdem sich 2019 die Gründung des Philanthropischen Vereins (dessen Schicksal im »Anschluss«-Jahr 1938 noch einer weiteren Erforschung bedarf) zum 140. Male jähren wird, folgen nun abschließend drei Texte (aus 1905 sowie 1929), die das Wirken dieser über viele Jahrzehnte so bedeutenden Wiener Organisation angemessen würdigen. Gleichzeitig wird damit auch an die unermüdliche Tätigkeit von Donat Zifferer, Eduard Suess, Emil Horner und vor allem von Simon Steingraber, dem selbstlosen Wohltäter aus der Böcklinstraße 45, der so lange in den Leitungsgremien dieses Vereins tätig war, erinnert.
Neue Freie Presse, 17. April 1905, S. 10 (online auf ANNO):
[25jähriges Jubiläum des Philanthropischen Vereines.] Der Philanthropische Verein feierte gestern das Fest seines 25jährigen Bestandes. Zu der Generalversammlung, die im Sitzungssaale der Handelskammer stattfand, hatte sich unter anderen der Präsident der Akademie der Wissenschaften, Eduard Suess, eingefunden; zahlreiche Wohltätigkeitsvereine hatten Delegierte entsendet. Der Vorsitzende Dr. Daum erstattete den Tätigkeitsbericht und gab seiner besonderen Befriedigung Ausdruck, dass der Durchschnitt der Einzelgaben sich auch in diesem Jahre erhöht habe. Im ganzen wurden im vergangenen Jahre 165.000 K. an 6250 Personen verteilt. Seit seinem Bestande hat der Verein in 323.969 Fällen mit einer Gesamtsumme von 3,249.618 K. interveniert.
Hierauf ergriff Präsident Suess das Wort zu folgenden Ausführungen: »Als einer derjenigen, die vor 25 Jahren die Ehre hatten, an der Gründung des Philanthropischen Vereines teilzunehmen, erlaube ich mir, allen jenen Personen, die seither den Verein in erfolgreicher Weise geleitet, den Dank auszusprechen und zu danken jenen Wohltätern, die durch reiche Gaben dieses Wirken möglich gemacht haben. Wilhelm Ritter v. Gutmann, der Gründer des Vereines, hat die Pflichten des Reichtums voll anerkannt, er sah ein, dass organisatorische Schritte nötig seien. Als wir zusammentraten, stellten wir uns zwei konkrete Ziele. Das erste war die Reform des Heimatgesetzes. Damals war noch in Österreich im Gegensatze zu den anderen umliegenden Kulturstaaten das Recht auf öffentliche Armenversorgung nicht gebunden an den Aufenthaltsort, sondern an die Geburtsstelle. Mit Entsetzen erinnern wir uns an die Szenen in den Gewölben zu St. Leopold (richtig wohl: St. Theobald, im ehemaligen Kloster befand sich ein Polizeigefangenenhaus, Anm.) vor Abgang eines jeden Hauptschubs. Eine Änderung der Heimatsgesetzgebung scheiterte damals an den großen Kosten; allein innerhalb weniger Jahre brachten die berechtigten Ansprüche der Armen den Stein ins Rollen, und jetzt haben wir ein Gesetz in Österreich, das wenigstens in den wichtigsten Prinzipien sich dem der anderen Kulturstaaten anschließt. Und es kann kaum mehr vorkommen, dass eine Mutter auf das Recht einer legalen Ehe verzichtet, um nicht ihren Kindern den Anspruch auf eine bessere Armenversorgung zu rauben, deren sie verlustig wurden als eheliche Kinder eines zugereisten Vaters.
Der zweite Zweck war die Kontrolle bei der Verteilung der Gaben. Man musste anstreben, dass nicht der eine Bittsteller mehreremal bekomme, während der andere darbte. Es hatte sich eine förmliche Zwischenschicht von Professionsbettlern gebildet, welche die Bettelbriefe verfassten. Die Aufgabe war schwierig, aber sie gelang dank der Mitarbeiterschaft edler Männer und Frauen. Heute nach 25 Jahren darf man aufrichtig sagen, dass Grund vorhanden ist, sich des Gedeihens des Philanthropischen Vereines zu freuen. Er ist ein wichtiges Glied in unseren sozialen Einrichtungen geworden. Unsere musikreiche Stadt hat hunderte schöner Melodien erfunden. Es gibt aber keine schönere Melodie als das dankerfüllte Stammeln einer wieder aufgerichteten Familie. Das ist Ihr Dank, Ihr Lohn. Ich beglückwünsche Sie dazu, und ich danke Ihnen für das, was Sie geleistet haben.« (Lebhafte Zustimmung)
Gemeinderat Zifferer erwiderte, dass dem Vereine der schönste Lohn dadurch wurde, dass ein so idealer Schöpfer des Vereines, wie Eduard Suess, nach 25 Jahren sagt, der Verein habe in dem Sinne der Gründer gearbeitet. Eine ganz besondere Dankespflicht habe der Verein gegenüber den großartigen Unterstützungen seitens der Spender. Von diesen spendeten seit 25 Jahren das Bankhaus S. M. Rothschild 1,627.596 Kronen, Gebrüder Gutmann und Familie 558.262 K., Baron Nathaniel Rothschild 213.448 K., Dr. Richard Drasche v. Wartinberg 194.000 K., Fürst Johann Liechtenstein 104.244 K. (seit etwa 10 Jahren), Max Springer 84.200 K. und Philipp Ritter v. Schoeller (seit wenigen Jahren) 44.200 K. (Lebhafter Beifall.) Namens des Vereines zur Errichtung der Wiener Suppen- und Theeanstalten gratulierte der Präsident Dr. Moritz Singer, namens des Vereines Frauenhort Frau Rosa Zifferer.
Bei den zum Schlusse vorgenommenen Wahlen in den Ausschuss wurden gewählt: K. Adolf Bachofen v. Echt (offenbar Karl Adolf Bachofen von Echt, Anm.), Dr. Theodor Gomperz, David Ritter v. Gutmann, Max Ritter v Gutmann, Polizeipräsident Johann Ritter v. Habrda, Dr. Ludwig Kunwald (Vater von Gottfried Kunwald, Anm.) und Gemeinderat Donat Zifferer. In das Exekutivcomitè wurden berufen: Dr. Adolf Daum, Emil Horner, Simon Steingraber, Franz Trabauer und Gemeinderat Donat Zifferer. Die Versammlung wurde sodann geschlossen.
Neues Wiener Journal, 15. Dezember 1929, S. 10 (online auf ANNO):
Das fünfzigjährige Jubiläum des Philanthropischen Vereins.
Der am 14. Dezember 1879 gegründete Philanthropische Verein veranstaltete gestern zur Feier seines fünfzigjährigen Bestandes im Rittersaal des niederösterreichischen Landhauses eine Festsitzung, zu der sich zahlreiche Mitglieder des Adels und der Gesellschaft eingefunden hatten. So bemerkte man: Landesgerichtspräsident a. D. Dr. Altmann (Ludwig Altmann, Anm.), Frau Polizeidirektor Rosa Tandler, den Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde Generaloberstabsarzt Dr. Pick (Alois Pick, Anm.), fürstlich Liechtensteinscher Geheimrat Dr. Hauschild, die Mitherausgeber des Neuen Wiener Journals Oskar, Alfred und Dr. Ernst Loewenstein, Chefredakteurstellvertreter Dr. Nagelstock, Dr. Edmund Wengraf, Hans Ritter von Guttmann [sic!; Enkel von David von Gutmann und wohnhaft in der Rustenschacherallee, Anm.], Frau Dr. Eugenie Schwarzwald, Frau Prokurist Helene Horner (Witwe von Emil Horner, Anm.), Industrieller Petschek, Herr und Frau Baurat Gotthilf, Dr. Schönberg, Frau Dozent Dr. Grünfeld (möglicherweise die Philanthropin und Fürsorgefunktionärin Sophie/Sofie Grünfeld, Witwe des Syphilidologen und Urologen Josef Grünfeld, Anm.), Frau Neu, Fürsorgerat Mayer und viele andere.
Die Feier wurde sehr stimmungsvoll durch das Quartett Anita Ast eingeleitet, das Mozarts Dissonanzenguartett zum Vortrag brachte. Dann sprach Hofschauspieler Georg Reimers in seiner eindringlichen, von edlem Pathos getragenen Art den folgenden, in seiner Einfachheit doppelt wirksamen Prolog aus der bewährten Feder Dr. Edmund Wengrafs:
Fünfzig Jahre: Tränen stillen
Und Verlassene betreu’n
Und gebrochenen Lebenswillen
Wieder stärken und erneu’n –Fünfzig Jahre: dunklen Höhlen
Nah’n als Bringer milden Licht’s,
Tröster sein für müde Seelen –
Werte Freunde, ist das nichts?Freilich, gold’ne Herzenswunder
Sind vorbei und sind verblüht,
Vielen dünkt wie alter Plunder
Unmodern heut‘ das Gemüt.
Weiche Regungen sind selten
Und man unterdrückt sie gern,
Denn für kalt und hart zu gelten,
Das ist Schick, das ist modern.Aber fern von lautem Dünkel,
Fern von Jahrmarkt und Gelag,
Treffen sich im stillen Winkel
Herzen noch von andrem Schlag,
Treffen sich die Unmodernen,
Die für sich geh’n querfeldein,
Die’s noch immer nicht verlernen,
Menschlich zart und gut zu sein.Und man freut sich im Gemüte
Alten Streben, alten Ziels,
Und man schämt sich nicht der Güte,
Des veralteten Gefühls.
Und man glättet Kummerfalten,
Mindert Not und lindert Pein,
Wie’s seit je geschah im alten
Philanthropischen Verein.Was die Väter sorglich schufen,
Steht es nicht, o Enkelherz,
Hoch auf festgefügten Stufen,
Dauernder als Stein und Erz?
Und wir wollen’s treu bewahren,
Dass das edle Werk gedeih‘
Und nach aber fünfzig Jahren
Trost noch den Bedrängten sei.Nachdem der Präsident des Philanthropischen Vereins, Minister a. D. Dr. Karl Leth dem Hofschauspieler Georg Reimers für seinen zündenden Vortrag, dem Verfasser des Prologs Dr. Edmund Wengraf für seine tiefempfundenen Worte gedankt hatte, hielt er die Festrede, in der er zunächst des Gründers des Vereins, des damaligen Landtagsabgeordneten Wilhelm Ritter v. Guttmann [sic!] gedachte. Die Zeiten hätten sich in den fünfzig Jahren des Vereinsbestandes zwar leider geändert, man bedürfe aber gerade deshalb heute noch viel mehr einer privaten Wohltätigkeitsfürsorge, da sich ja, wie man täglich immer wieder erfährt, berühmte und um das Vaterland verdiente Männer in Not und Elend befinden. Der Philanthropische Verein habe schon vielen Tausenden geholfen, beteile aber nicht die professionellen Bittsteller, sondern nehme durch sorgfältige Recherchen und durch die Anlage eines über hunderttausend Namen umfassenden Katasters der wirklich Bedürftigen eine strenge Sichtung vor.
Der Festredner gedachte dann vor allem dreier Persönlichkeiten, die sich gegenwärtig um den Verein besonders verdient machen, und zwar des regierenden Fürsten von und zu Liechtenstein, des Chefs des Hauses Rothschild Baron Louis Rothschild und des Bergrates Max Ritter von Guttmann [sic!], deren Ernennung zu Ehrenmitgliedern des Vereins durch Akklamation beschlossen wurde. Baron Rothschild und Max Ritter v. Guttmann haben auch zur Feier des gestrigen Tages je fünftausend Schilling für Zwecke des Vereins gespendet.
Doktor Leth verlas dann ein sehr warmes Beglückwünschungsschreiben des Bundeskanzlers Schober und teilte mit, dass der Bundespräsident (Wilhelm Miklas, Anm.) das Vorstandsmitglied, den Prokuristen des Bankhauses S. M. v. Rothschild Richard Bettelheim, durch Verleihung des goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik ausgezeichnet habe. Weiters wurde die Vorsteherin des Vereinssekretariats Fräulein Podiebrad durch Verleihung des Titels einer bundesstaatlichen Fürsorgerätin geehrt.
Mit dem Leitsatz des Vereins »Humanitas suprema lex« schloss Präsident Dr. Leth seine wirkungsvolle Rede. Nachdem noch Vorstandsmitglied Richard Bettelheim für die erhaltene Auszeichnung gedankt und seiner unermüdlichen Mitarbeiter in der Leitung des Philanthropischen Vereins, besonders der Hofsekretärs Pawelka, des Kommerzialrates Fischer und des gleichfalls hochverdienten Mitherausgebers unseres Blattes Alfred Loewenstein gedacht hatte, schloss Präsident Dr. Leth die imposante Festkundgebung mit dem Wunsche, dass der Verein auch in Zukunft wachsen, blühen und gedeihen möge.
Neues Wiener Journal, 20. Oktober 1929, S. 17f (online auf ANNO):
Was Philanthropen in Wien erlebten.
Zum fünfzigjährigen Jubiläum des Philanthropischen Vereins.
Von besonderer Seite.[…] Jahrzehntelang versah dieses Amt des Hauses Rothschild der Prokurist Emil Horner, ein herzensguter Mensch. Baron Nathaniel Rothschild war gestorben. In munifizenter Weise hatte er im Testament bestimmt, dass neben vielen anderen Legaten, wie zum Beispiel der Nervenstiftung in Höhe von zwanzig Millionen, auch der große Betrag von zwanzig Millionen Goldkronen an Wohltätigkeitsvereine in Wien gegeben werden sollte. Eine glänzende Idee, weil bekanntermaßen fast sämtliche Vereine passiv waren. Emil Horner bezeichnete es als den schönsten Tag seines Lebens, wie er den Auftrag bekam, diese Summe zu verteilen. Neben Emil Horner wirkte viele Jahrzehnte der Vertreter des Hauses Gutmann Prokurist Simon Steingraber. Es gab kein Ereignis bei der Firma Gutmann, bei dem nicht Steingraber die an und für sich so wohltätigen Chefs zu einer Extraspende für den Philanthropischen Verein veranlaßte. Selbst die Jahresbilanz mußte herhalten.
[…] Einer der tätigsten Mitglieder war auch Baumeister Donat Zifferer, langjähriges Mitglied des Gemeinderates, Erbauer des Rothschild-Spitals, ein Mann, geboren in Mähren und doch ein Wiener vom alten Schlage. Zifferer lehnte jeden Titel, jede Auszeichnung prinzipiell ab. Er gründete die Heime für obdachlose Familien in der Brigittenau und in Ottakring, die heute dem Philanthropischen Verein angegliedert sind. Sein Bekanntenkreis war groß. Unermüdlich war er, wenn er einen Wohltäter veranlassen konnte, Geldbeträge zu geben. Ein großer Förderer des Vereins war der verstorbene Baron Gustav Springer. Zifferer hatte auch geschäftlich viel mit ihm zu tun und ceterum censeo das Schlusswort einer jeden geschäftlichen Besprechung war eine Bitte um Geld für den Philanthropischen Verein. Einmal nur wollte Zifferer, ohne diese Bitte ausgesprochen zu haben, sich von Baron Springer verabschieden, worauf Baron Springer zu ihm sagte: »Sagen Sie einmal, Herr Baumeister, was wollen Sie denn sonst noch?« Zifferer erwiderte »Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.« Worauf Springer sagte: »Lieber Herr Baumeister, Sie kommen doch nicht beruflich zu mir, wenn Sie nicht auch einen Betrag für Ihren Verein wünschen.«
[…] Nach dem Tode von Donat Zifferer wusste der Vorstand, dass viele Wohltäter nur ihm zuliebe zu Weihnachten große Spenden für die Weihnachtsfeiern in den Heimen gegeben hatten. Infolgedessen beschlossen Steingraber und ein anderes Vorstandsmitglied, persönlich Besuche zu machen, um zu bitten, dass dem Verein auch weiter Gaben zukommen. Der erste Besuch galt der Witwe eines bekannten Großkaufmannes, die zu Weihnachten immer Wäsche und Kleider geschenkt hatte. Dem Mädchen, das die Tür öffnete, teilte Steingraber den Zweck des Besuches mit und bat, die gnädige Frau zu verständigen. Die Herren mussten mindestens eine Viertelstunde im Vorzimmer warten, dann erschien das Dienstmädchen und drückte dem Prokuristen von Gebrüder Guttmann zwei Kronen in die Hand.
Von allen genannten Herren ist leider keiner mehr heute am Leben. Doch ihr Geist lebt fort. Das Exekutivkomitee, bestehend aus Präsident Minister a. D. Dr. Ritter v. Leth, Vizepräsident Alfred Loewenstein, Repräsentant vom Fürsten Liechtenstein: Hofsekretär Pavelka, vom Hause Rothschild: Prokurist Richard Bettelheim, vom Hause Guttmann [sic!]: Kommerzialrat Prokurist Fischer, bestrebt sich, im Sinne der Gründer weiterzuarbeiten, getreu dem Dichterwort: Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen! Leider haben sich die Verhältnisse geändert. Viele frühere große Wohltäter sind heute nicht mehr in der Lage, Beiträge geben zu können und die großen Beiträge, die in jeder Sitzung verlangt werden und verteilt werden müssen, damit nicht Familien zugrunde gehen, können unmöglich von den drei genannten Häusern allein gegeben werden. Denn der Philanthropische Verein ist ja nicht der einzige Verein, der von diesen großen Philanthropen bedacht wird, ganz abgesehen davon, dass jedes Haus privatim täglich viele Gesuche erledigt. Auch die Armen haben sich verändert. Heute sind die Bedürftigen ehemalige Wohlhabende, verschämte Arme des Bürgertums und der Aristokratie. Hier kann nur gründlich geholfen werden, in taktvollster, diskretester Weise. Dazu sind große Mittel erforderlich. Zum Glück gibt es noch sozial denkende Menschen und das so oft totgesagte goldene Wiener Herz schlägt immer noch.