»Die aus dem Mittelalter stammende Kapelle des im Triestingtale gelegenen Ortes Fahrafeld ließ die Besitzerin des Gutes Gräfin Wimpffen-Sina nach Plänen des Architekten Max Freiherrn von Ferstel heuer umbauen. Die feierliche Einweihung der Kapelle fand am 21. v. M. statt. Der Pottensteiner Gesangverein nahm aus diesem Grund Anlass, am Vorabende dieser Feier der durch ihren Wohltätigkeitssinn sich allseitiger Verehrung erfreuenden Gräfin ein Ständchen zu bringen. Des berühmten Heinrich Ferstels Sohn zeigte auch hier eine bedeutende künstlerische Individualität durch auserlesenen Geschmack und feinsinnige Empfindung.«
(Wiener Bauindustrie-Zeitung, 1. November 1888)
August Zichy de Zich et Vásonykeő, ehemals Gouverneur von Fiume (heute: Rijeka) und Obersthofmarschall, verstarb am 4. Oktober 1925. Anwesend bei der feierlichen Einsegnung im Palais Zichy-Sina in der Beckmanngasse 10–12, 1140 Wien (heute Sitz der nordkoreanischen Botschaft) waren laut Neuem Wiener Journal (8. Oktober 1925, S. 10; online auf ANNO) unter anderem der bedeutende Kunstmäzen Felix (von) Oppenheimer (ein Freund Hugo von Hofmannsthals und Enkel von Sophie und Eduard von Todesco; er wird nach dem »Anschluss« am 15. November 1938 Selbstmord begehen), der Architekt Max (von) Ferstel und seine Gattin Charlotte sowie Zichys Schwager Siegfried von Wimpffen mit Familie. Nach der von einer beeindruckenden Honoratiorenschar besuchten Zeremonie wurde Zichy ins slowenische Bellatincz (Beltinci) überführt; die dortige Kirche sv. Ladislava mit der Familiengruft des Verstorbenen war nach dem frühen Ableben seiner Gattin Hedwig von Wimpffen in den Jahren 1893–1895 von Max Ferstel umgestaltet und erweitert worden. (In Beltinci gab es übrigens einst auch eine große jüdische Gemeinde, mehr dazu siehe hier.)
Kehrten die Ferstels danach in ihr Domizil auf der Landstraße zurück? Der Architekt lebte im 3. Bezirk, in der Stammgasse 12, nahe der Rotundenbrücke, in einem Haus, das er 1892–1894 als gemeinsamen Familiensitz mit seinem Schwager Wilhelm von Doderer, dem Vater des Schriftstellers Heimito von Doderer (1896–1966), erbaut hatte. In der unmittelbaren Nachbarschaft – ja, tatsächlich gleich um die Ecke, in der Marxergasse, nur wenige Meter entfernt – erstreckte sich ein bemerkenswertes (und mittlerweile nicht mehr existentes) Gebäude, das parallel zur Errichtung von Ferstels Refugium eine wesentliche Transformation erfahren hatte. Verantwortlich dafür war Simon von Wimpffen (1867–1925) gewesen, der neue Besitzer dieser Immobilie, damals Mitte 20, enorm reich, rastlos, energiegeladen und ausgestattet mit einem großem Faible für die Pferdezucht.
Wir begegnen hier also einem Mitglied jener Familie, welche durchaus eng mit dem Max von Ferstel’schem Architekturschaffen verknüpft ist. So entwarf Ferstel für die Wimpffens bzw. deren Umfeld, neben den schon oben angeführten Bauwerken, laut Homepage der ungarischen Gemeinde Besnyő bei Ercsi unter anderem 1897 eine Kirche im Auftrag von Simons Bruder Siegfried von Wimpffen (siehe oben) – eine Kirche, deren Bau von Siegfrieds Gattin Franziska, geb. Gräfin Stockau (eine Cousine von Mary Vetsera und Nichte von Helene Baltazzi-Vetsera) angeregt wurde, anlässlich der Geburt des gemeinsamen Sohnes Georg (er wird von seinem Onkel Simon die Villa Böcklinstraße 49 erben).
In der sehr lobenswerten, von Hans Pemmer und Franz Englisch verfassten Landstraßer Häuserchronik (1958; Manuskript im Bezirksmuseum Landstraße), lesen wir, der »Hausname« von Simon von Wimpffens Domizil in der Marxergasse wäre Graf Wimpffen’sches Sommerpalais gewesen. Anderorts erfährt man, dass sich der exzentrische Graf, ein Enkel des Bankiers und Mäzens Simon Georg von Sina (1810–1876), der vermutlich zu den reichsten Europäern seiner Zeit gezählt hatte – dass sich also Simon von Wimpffen auch häufig auf seinem Schloss Fahrafeld aufhielt, galt es doch, die familieneigene Besitzung Neuhaus an der Triesting in einen mondänen Kurort zu verwandeln.1 Als Inspiration diente ihm hier vielleicht sein Vater Victor Graf Wimpffen (1834–1897), der sich mit Ähnlichem, wenngleich in erheblich kleinerem Maßstab, im italienischen Battaglia Terme beschäftigt hatte.2 (Viele Jahrzehnte später findet sich der von Wimpffen modellierte Kurort Neuhaus bekanntlich prominent in Thomas Bernhards Heldenplatz wieder: So erzählt unter anderem Professor Robert Schuster, die männliche Hauptfigur des heftig umkämpften Theaterstücks, sein Vater habe den dortigen Familiensitz im Jahr 1917 erworben.3 Antonia Fábián [1882–1980], die aus dem steirischen Kumberg gebürtige Mutter von Bernhards Vormund und Stiefvater Emil Fabjan, hatte übrigens vor ihrer Ehe zeitweise auf dem hoch über dieser Gemeinde thronenden Schloss Kainberg, dem österreichischen Stammschloss der Wimpffens – hier residierte unter anderem Siegfried von Wimpffen –, als Küchenbedienstete gearbeitet.4)
1890 war Simon von Wimpffen mit Karoline Gräfin Széchenyi (1869–1932) vor den Traualtar getreten (das Ehepaar lebte später getrennt). Die Verbindung zwischen den Familien Sina und Széchenyi ließ sich damals schon über mehrere Jahrzehnte zurückverfolgen. Ihr steinernes Abbild findet man auch heute noch in Budapest: Die mächtige Széchenyi-Kettenbrücke trägt das Wappen der Sina (Foto), mit deren Wahlspruch: Servare Intaminatum (Unversehrt bewahren). Außerdem sollte noch eine ganz spezielle Verwandte explizit angeführt werden: Karolines Vater, der Politiker Gyula Széchényi von Sárvár und Felsővidek, war seit 1875, und nach dem frühen Tod seiner Gattin Karoline Gräfin Zichy-Ferraris, mit der charismatischen Paula Klinkosch, einem Spross der berühmten Wiener Silberwaren-Dynastie, vermählt – Hanna von Liechtenstein, Paulas Schwester, die nahe der Marxergasse, auf der anderen Seite der Brücke, im Pratercottage lebte, entpuppt sich somit als Karoline von Wimpffens Stieftante. Karoline war überdies, was nicht unerwähnt bleiben sollte, eine Schwägerin des von 1906–1912 amtierenden k. u. k. Außenministers Alois Lexa von Aehrenthal (Sport & Salon, 26. Juli 1902, S. 5; online auf ANNO).
Wie hier in diesem Blog schon dargelegt, erwarb Simon von Wimpffen 1899 zusätzlich die Villa Harnoncourt in der Laufbergergasse 12, wo er laut Lehmanns Adressbuch, Jahrgang 1901 (online auf Wienbibliothek digital) zumindest kurz auch wohnte. Der Grund für diesen Ortswechsel konnte noch nicht eruiert werden.
Es folgen nun, nebst weiteren zeitgenössischen Dokumenten, mehrere im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrte Pläne von Simon von Wimpffens einstigem (und Mitte der 1960er-Jahre demolierten) Haus in der Marxergasse, heutige Adresse Nr. 30 (früher: Nr. 24), schräg vis-à-vis von den Sofiensälen. Auf Grund der mehrfachen Umbauten bzw. Erweiterungen sowie der über die Jahre hinweg sich immer wieder ändernden Nummerierung ist es hier die Grundbuch-Einlagezahl (EZ 1096), die über das Schicksal des Gebäudes Gewissheit verschafft. Als der adoleszente Heimito von Doderer durch die Nachbarschaft der heimatlichen Stammgasse streifte, war das Sommerpalais Wimpffen – für ihn vielleicht bedauerlich? – Geschichte, das einst so stolze Gebäude beherbergte nun wenig glamouröse Werkstätten.
Blick von der Stammgasse 14 zur Marxergasse 30, März 2018
Entwurf des Architekten Josef Strohmayer sen., 1820
Entwurf des Architekten Anton Grünn, 1833
Einreichplan Carl Diener, 1875
Ansuchen der Bauherren Ferstel und Doderer bzgl. Stammgasse 12, 1892
Ansuchen des Bauherren Simon von Wimpffen, 1893
Einreichplan Simon von Wimpffen mit Lage der Stallräumlichkeiten, 1893
Einreichplan Simon von Wimpffen, 1893
Wimpffen und Karl Diener: Nachricht von der Einverleibung im Grundbuch, 1893
Die gräflich Wimpffen’sche Central-Kanzlei, 1893
Simon von Wimpffen ist Eigentümer von Marxergasse 24 (30), EZ 1096, 1905
Geplante Umgestaltungen durch den neuen Eigentümer Albert Marquart, 1909
2 Eduard Mautner, Julius Klob: Die Eugaäischen Thermen zu Battaglia. Gerold; Wien, 1875 (Digitalisat der Österreichischen Nationalbibliothek).
3 Thomas Bernhard: Heldenplatz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988, S. 162
4 »Die Mutter ist aus Kumberg bei Graz gebürtig; vor der Ehe ist sie zeitweise als Küchenbedienstete beim Grafen Wimpffen auf Schloss Kainberg tätig.«. Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Eine Biografie. Residenz Verlag, Wien–Salzburg 2015, S. 35