Schönbergs Lehrmeister: Oskar Adler, Franzensbrückenstraße 22 (1907-1914)

»Warum ist das so furchtbar laut???«
Wir schreiben das Jahr 1967 und befinden uns in Swinging London. Hans Keller, BBC-Star mit unverkennbarem Wiener Akzent und fraglos der einflussreichste Musikkritiker Großbritanniens, starrt ratlos auf seine jugendlichen Gäste. Diese hatten eben einen sehr psychedelischen Auftritt absolviert und saßen nun, bunt gewandet und in Erwartung eines drohenden Tribunals, vor dem erbarmungslosen Schönberg-Experten und Hohepriester der Klassik. Die Verständnislosigkeit zwischen den beiden Konfliktparteien – Hans Keller und Pink Floyd nämlich – beruhte, man kann es via Youtube überprüfen, auf Gegenseitigkeit, eine Annäherung der konträren Positionen war in dieser mittlerweile legendären Sendung definitiv nicht möglich.

Arzt, Astrologe, Musiker, Schönberg-Freund und Bruder eines führenden Austro-Marxisten: Oskar Adler (1875-1955).

Was aber hat dieser Zusammenprall der Welten mit dem Pratercottage zu tun? Nun, wir werden es im Laufe des Textes enthüllen. Vorerst begeben wir uns ins Jahr 1908, in die Franzensbrückenstraße 22, in ein hoch aufragendes Gründerzeithaus. Dort wohnte der Arzt Oskar Adler (geb. 1875 in Wien), Bruder des kantianisch geprägten Austro-Marxisten Max Adler sowie Jugendfreund und musikalischer Guru von Arnold Schönberg. »Durch ihn erfuhr ich zum ersten Mal, dass es so etwas wie eine musikalische Theorie überhaupt gibt«, erklärte Schönberg später. »Er leitete meine ersten Versuche nach ihren Gesetzen, erweckte mein Interesse in Poesie und Philosophie, und besonders muss ich sagen, dass all mein Wissen von Musik, zu dieser Zeit, vom gemeinsamen Musizieren kam . . . Er war zu dieser Zeit bereits ein ausgezeichneter Violinist.« Quasi um die Ecke und fast in Adlers Sichtweite wiederum – nur der Donaukanal musste überquert werden – residierte in der Oberen Weißgerberstraße 16 der Komponist und Dirigent Alexander von Zemlinsky, ein enger Freund sowohl des Arztes als auch von Schönberg. Zemlinskys Schwester Mathilde war mit letzterem zudem verheiratet, doch geriet die Ehe just in jenem Jahr in schwere Turbulenzen: Mathilde hatte einen Geliebten; dieser, der hoch talentierte Maler Richard Gerstl, beging im November auf spektakuläre Weise Selbstmord, indem er sich ein Messer in den Körper stieß und vor einem Spiegel erhängte. Es war eine katastrophale Situation für alle Beteiligten, wobei Schönbergs Freunde Adler und Zemlinsky dem betrogenen Gatten vermutlich nur bedingt Trost spenden konnten.

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»Ich bin kein Held, ich bin Komponist.« Hanns Eisler, Schüttelstraße 19a (ab 1909)

Ich kenne den Mann recht gut, er ist hoch gebildet, geistvoll, im Gespräch sehr amüsant, und oft habe ich mich mit ihm, namentlich über Wagner, glänzend unterhalten. Als Musiker ist er, nach dem Urteil all seiner Kollegen, ersten Ranges.
– Thomas Mann über Hanns Eisler, 1947

Aber es ist wirklich zu dumm, dass erwachsene Menschen, Künstler, die wahrhaftig Besseres zu sagen haben sollten, sich mit Weltverbesserungstheorien einlassen, obwohl man ja aus der Geschichte wissen kann, wie all das ausgeht. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich ihn wie einen dummen Jungen übers Knie legen und ihm 25 heruntermessen und ihn versprechen lassen, dass er nie mehr seinen Mund aufmacht und sich auf Notenschreiben beschränkt. Dafür hat er Talent und das andere soll er andern überlassen.
– Arnold Schönberg über Hanns Eisler nach dessen Verhör vor dem House Committee on Un-American Activities, 1947

Laut Charlie Chaplin wie einem Shakespeare’schen Königsdrama entsprungen: Die
Geschwister Hanns, Ruth Elfriede und Gerhart Eisler.

Es war die eigene Schwester. Als die einst linksradikale und 1936 von Stalin zum Tode verurteilte Elfriede Friedländer (geb. Eisler, Kampfname: Ruth Fischer, weitere Decknamen siehe hier) 1947 vor dem House Committee on Un-American Activities (HCUA) erschien und ihre Brüder Hanns (Komponist und langjähriger künstlerischer Partner von Bertolt Brecht) und Gerhart (bis zur Machtübernahme durch die Nazis bekannter Funktionär der deutschen KP) beschuldigte, in den USA als kommunistische Spione tätig zu sein, war dies nicht nur der Startschuss für die Verfolgung unzähliger Hollywood-Größen wie etwa Charlie Chaplin (er war mit Hanns Eisler eng befreundet und wählte schließlich den Gang ins Schweizer Exil), nein: Elfriedes Aussagen sind wohl auch als absurder Höhepunkt einer innerfamiliären Entwicklung zu sehen, die ihren Anfang im Gebäude Schüttelstraße 19a genommen hatte.

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