Der Prater, die Pferde und die Familie Springer, Teil 4: Die Bergwerke in Jaworzno

Steinkohlengrube in Jaworzno. Zeichnung von Hugo Charlemont (Kronprinzenwerk, Band: Galizien, 1898)

Im Wiener Straßennetz finden sich einige ganz großartige Namen (1010, Stoß im Himmel, z.B., oder 1140, Grüne Stube). Vor wenigen Jahren gesellte sich nun auch 1020, An den Kohlenrutschen hinzu. Der so liebevoll betitelte Verkehrsweg im noch jungen Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof mündet in die ebenfalls neu geschaffene Krakauer Straße. Fürwahr eine interessante topografische Festschreibung, die zu einem Blick zurück verleitet:

Die Presse, 18. Februar 1869
»Seit einigen Wochen sind hier Gerüchte verbreitet, die Nordbahngesellschaft beabsichtige das große Kohlenbergwerk Jaworzno käuflich an sich zu bringen. Bis jetzt haben diese Gerüchte wenig Wahrscheinlichkeit an sich; aber schon die bloße Anregung des Gedankens erregt in industriellen Kreisen Besorgnis über die Großmachtstellung der Nordbahn im Kohlenrayon Krakaus, da die Nordbahn ohnehin das bedeutende Kohlenbergwerk Pechnik bei Jaworzno besitzt. Man befürchtet nämlich – ich weiss nicht, ob mit Recht – die Nordbahn werde durch den Ankauf Jaworznos gewissermaßen Monopolistin im Kohlenrayon Krakaus werden.«

Neues Fremden-Blatt, 15. Mai 1871
»Die Verhandlungen wegen des Verkaufes des ärarischen Kohlenwerkes Jaworzno haben zu einem definitiven Resultate geführt. Das Werk ist bereits an ein aus den Bankiers Springer, Schoeller, Gebrüder Gutmann bestehendes Konsortium verkauft worden. Als Kaufpreis nennt man uns ca. 2,1 Millionen Gulden. Ob die Ersteher ihre Erwerbung für die Zeichnung einer Aktiengesellschaft verwerten werden, steht noch nicht fest.«

Die von Salomon Rothschild begründete Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, Urmutter der ÖBB, angesiedelt im prächtigen Nordbahnhof, sie ging also leer aus. Hauptaktionär der Nordbahn war nach wie vor das Haus Rothschild, mit dem die Gebrüder Gutmann interessanterweise schon damals, seit 1865 nämlich, in Geschäftsbeziehungen standen (ab 1869 hatte überdies die intensive Zusammenarbeit betreffend die später so riesigen Eisenwerke in Witkowitz/Vitkovice begonnen). Ebenfalls 1865 hatten die Gutmanns zudem in Breslau gemeinsam mit der schlesischen Firma C. T. Löbbecke die Georg- und Morgenstern-Grube erworben und dabei auch den späteren Freund Max von Springer beteiligt. Doch nun waren die neuen Besitzer der Jaworznoer Kohlengruben unzufrieden. In seinem nicht nur für Bergbau-Experten interessanten Erinnerungsband Aus meinem Leben (1891) beklagt Wilhelm von Gutmann den hohen Kaufpreis, den »verwahrlosten Zustand der Anlage« und die »geringe Qualität der Kohle, welche eine Verfrachtung auf weitere Entfernung nicht lohnend erscheinen ließ«. Die Häuser Springer, Gutmann, Schoeller und Todesco (auf letzteres wurde in oben zitiertem Artikel vergessen) machten sich also ans Werk, modernisierten die Anlage und errichteten »verschiedene humanitäre Anstalten« (Gutmann) für die Arbeiter, deren Zahl im Jahr 1891 auf 1.400 angewachsen war.

Rund um 1909 – ein Meldezettel dazu existiert leider nicht, man muss sich auf Lehmanns Adressbuch verlassen – zieht nun der Maler Hugo Charlemont in die Villa Böcklinstraße 59. Sie wurde von Oskar Marmorek entworfen und befindet sich im Besitz des bekannten Bankiers und Philanthropen Salo Cohn, der sich voller Tatendrang für jüdische Wohltätigkeitseinrichtungen engagiert (siehe etwa das Lele Bondi-Heim in eben jenem Gebäude). Charlemont hatte einst für das monumentale, von Kronprinz Rudolf initiierte Kronprinzenwerk eine eher idyllische Zeichnung der Steinkohlengruben in Jaworzno beigesteuert. In seiner Straße, in der Villa Nr. 35, lebt mit Heinrich Wiedmann auch der Prokurist der Gebrüder Gutmann. Damals, konkret: im Jahr 1910, wurde laut Compass (III. Band, Teil 1) der Verwaltungsrat der Jaworznoer Steinkohlengewerkschaft (Steinkohlenbergwerk in Jaworzno, Bleierz- und Eisensteinbergbau in Ciezkowice) aus folgenden Personen gebildet:

Eugène Freiherr von Fould-Springer (Präsident), Kaiserlicher Rat Leopold Sachs (Vizepräsident), Gebrüder Gutmann, Max Springer, Bergrat Max Ritter von Gutmann, Dr. Ernst von Lieben, Bergdirektor Richard Sachs.

Als Firmenanschrift wird 1040 Wien, Schwindgasse 2 angegeben – das Palais David Ritter von Gutmann also. Über den von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1908 geadelten, aus einer einflussreichen französischen Bankiersfamilie stammenden Eugène Fould, »Mitzi« von Springers Gatten, wurde schon im Teil 3 dieser kleinen Serie berichtet. Ernst von Lieben wiederum, Eduard von Todescos Enkel, war nicht nur ein Verwandter der Familie Springer, sondern auch Onkel der Malerin Marie-Louise von Motesiczky, Elias Canettis Freundin und Geliebter. Ein Porträt von letzterem hängt nun im Erdgeschoß seiner einstigen Volksschule in der Wittelsbachstraße.

Vielleicht, so denkt man sich, sollte man nicht nur zur Ecke Krakauer Straße/An den Kohlenrutschen spazieren, sondern auch einmal nach Jaworzno fahren. Am geruhsamsten wäre wohl die Reise mit der stolzen Polonia. Die Abfahrt erfolgt, nachdem der Nordbahnhof ja nicht mehr existiert, nun in Wien-Meidling, um 13.31 Uhr. Über Wien-Simmering führt die Strecke nach Breclav (Lundenburg) sowie weiter über Ostrava (Ostrau) nach Katowice (Kattowitz). Dort – Achtung! – steigt man um. Nun begibt man sich mit dem R 43310 Richtung Krakau über Myslowice (Myslowitz) zum Ziel der Reise, dem Bahnhof Jaworzno Szczakowa, Ankunft: 19.42 Uhr. In den darauf folgenden Tagen könnte man, so denkt man sich weiter, eine Spurensuche betreffend die Jaworznoer Kohlengruben unternehmen, die, wie man der Website des örtlichen Museums entnimmt, für die Entwicklung der polnischen Stadt von großer Bedeutung waren. Später folgte der Terror: Während der NS-Zeit waren sie dem Vernichtungslager Auschwitz angegliedert.

Eine Reise nach Galizien also – ja, vielleicht sollte man sie machen.

Teil 3 – Der Prater, die Pferde und die Familie Springer: Die Genesis eines Konzerns

Teil 2 – Der Prater, die Pferde und die Familie von Springer: Gustav von Springer, die Baltazzis und der Jockey-Club

Teil 1 – Der Prater, die Pferde und die Familie von Springer (Einleitung)