Von Makart zu Lueger: Hanna Liechtenstein-Klinkosch, Böcklinstr. 39 (1891–1922)

Foto: Atelier Adèle, Praterstraße 18.

1. Das It-Girl der Gründerzeit: Johanna Klinkosch auf einer Aufnahme aus 1868. Gemeinsam mit ihrer Schwester Paula zählte die 1849 geborene Tochter des Hoflieferanten Josef Carl von Klinkosch zu den begehrtesten Frauen Wiens. Die Manufaktur ihres Vaters, eines Produzenten von Silberwaren, befand sich in übrigens in der Afrikanergasse 3, unweit des Pratersterns also. Eine weitere Spurensuche erübrigt sich leider: Das Gebäude existiert nicht mehr.


2. Im Laufe der Jahre wurde Hanna Klinkosch zum Lieblingsmodell von Hans Makart (geb. 1840) und nahm häufig an dessen ausufernden Atelierfesten teil. Bis zu seinem Tod 1884 fertigte der begeisterte »Malerfürst« mehrere Porträts von ihr an (auch das Wien Museum ist im Besitz eines solchen). Hier sehen wir Klinkosch, Blumen streuend, im Zentrum seines 1878 entstandenen Gemäldes Der Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen. Das riesige Werk (Maße: 5,20 x 9,50 Meter) befindet sich in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle und wurde vor einigen Jahren aufwendig restauriert. Mehr zur Geschichte des Bildes – dem größten der Hamburger Institution übrigens – kann man hier, in einem Artikel der deutschen Tageszeitung Die Welt, nachlesen.


3. Makarts Die Falknerin (ca. 1880) beschäftigt (nicht nur) die Kunsthistoriker. Nach wie vor ist unbekannt, wer hier Modell stand. In mehreren Expertisen wird auf Hanna Klinkosch getippt – und man ist geneigt, dem zuzustimmen. Das Bild wurde 1937 von der Wiener Galerie Neumann & Salzer an Karl Haberstocks Galerie in Berlin verkauft. Von dort gelangte es in den Besitz von Adolf Hitler, der es Hermann Göring im Jänner 1938 auf pompöse Weise zum Geburtstag schenkte. Die Falknerin ist heute in der Münchner Neuen Pinakothek zu sehen. Im Zuge der umfassenden Digitalisierung von NS-Archivalien, die auch der Provenienzforschung dient, stellte das Deutsche Historische Museum (DHM) die entsprechenden Dokumente (Mü-Nr. 5436) zu diesem Bild online.


4. 1915, in jenem Jahr also, als Dora Kallmus (Madame d’Ora) dieses Foto von Hanna Klinkosch, nun Prinzessin von Liechtenstein, anfertigte, lebte diese schon seit längerem in der Böcklinstraße 39. Der Weg in den Prater führte über das britische Empire: Im Mai 1890 hatte sie, die zuvor mit dem Volkswirt Ottomar Haupt vermählt und mit diesem im viktorianischen London ansässig war, den Aristokraten Alois (von) Liechtenstein (1846-1920) geheiratet. Der verwitwetete Politiker, ein vierfacher Vater, zählte zu den engsten Vertrauten von Karl Lueger (man kannte sich spätestens seit 1886) und agierte als einflussreicher Spitzenfunktionär der christlichsozialen Partei. Detaillierte Informationen zu ihm liefert unter anderem John W. Boyers ausgezeichnete Biographie über Karl Lueger (Böhlau Verlag, 2010); in den kommenden Monaten wird überdies mehr über Alois Liechtenstein in diesem Blog folgen. Vorerst soll hier auf die bemerkenswerte Tatsache verwiesen werden, dass Hanna Liechtenstein, die Frau jenes Politikers, der einst gemeinsam mit anderen zum Boykott jüdischer Kaufleute aufrief (Boyer, S. 253), zwecks Ablichtung ins Atelier von Wiens berühmtester jüdischer Fotografin pilgerte. Alois Liechtenstein war zu diesem Zeitpunkt übrigens Parteiobmann der Christlichsozialen.

Foto: Österreichische Nationalbibliothek.

5. Das Hauptquartier der Salondame: Die vom Liechtenstein’schen »Hausarchitekten« Gustav Neumann entworfene Villa Liechtenstein in der Böcklinstraße 39 – links sehen wir die Kreuzung zur Tiergartenstraße, rechts im Bild taucht die Villa Bagatelle, auch Villa Rasper genannt, auf. Als Hanna Liechtenstein schließlich am 31. Jänner 1925 in Baden, konkret: in der Marchetstraße 2, starb (das Wiener Haus wurde im Jänner 1922, nach dem Tod ihres Mannes, an Naphta-Austria Lomnica verkauft und sie hatte sich, so wird übereinstimmend gemeldet, nach Niederösterreich zurückgezogen. Lehmanns Adressbuch erweist sich hier als etwas unzuverlässig und listet sie im Namensverzeichnis bis 1925 in der Böcklinstraße, ebenso wie ihre Stieftochter Julie Liechtenstein), als Hans Makarts einstige Muse also starb, widmete ihr die liberale Neue Freie Presse einen freundlichen Nachruf, der nicht nur ihre Rolle im Werk des Gründerzeit-Malers rekapitulierte, sondern ziemlich unverhohlen auch über den Standesdünkel berichtete, der ihr teilweise von Seiten des österreichischen Hochadels entgegenschlug: »Als Lebensgefährtin dieses streitbaren Politikers fiel ihr die Aufgabe zu, Gegensätze auszugleichen, Sprödigkeit und Härten zu glätten, mit einem guten Frauenwort, einem feinen Lächeln über Verlegenheiten hinweg zu helfen. Der Politik ist sie geflissentlich fern geblieben. Nur einen Ehrgeiz hatte sie: den, ihre bürgerliche Herkunft nicht zu verleugnen, und für die Patrizierfamilie, der sie entstammte, die richtige Würdigung geltend zu machen. Aber gerade dadurch besiegte sie manches Vorurteil, auf das sie unter den Standesgenossen ihres Gatten stieß. Ihr unermüdliches Bestreben, Notleidenden zu helfen, setzte nie aus, und eines der schönsten Wiener Werke, das ›Haus der Barmherzigkeit‹, verdankte ihr großzügige Aktionen.« Vielleicht ist dies auch der Grund, warum Hanna Liechtenstein bis zuletzt darauf bestand, als »geb. von Klinkosch« im Telefonbuch zu stehen.