Der Prater, die Pferde und die Familie Springer, Teil 3: Die Genesis eines Konzerns

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Einst ein Teil des Fould-Springer-Konzerns: Die vom Wiener Baron Max Springer begründete Presshefe-Fabrik in Maisons-Alfort nahe Paris.

Kommerzialrat Theodor Lassner, leitender Direktor der AG für Chemische Industrie, wohnte in der Villa Böcklinstraße 35 – und hatte eine führende Rolle innerhalb der Baron Springer-Stiftung inne. Dr. Ernst Bachrach, bis zum Crash der Credit-Anstalt (1931) Direktor der Berndorfer Krupp-Werke, wohnte in der Villa Böcklinstraße 47 – und saß im Verwaltungsrat des Fould-Springer-Konzerns (Paris). Vor dem »Anschluss« 1938 residierten also zwei Manager nur wenige Häuser voneinander entfernt, die im Rahmen ihrer so unterschiedlichen Tätigkeit eng mit der Familie Springer verbunden waren. Lassner konnte in die USA flüchten, Bachrach wiederum war ab Ende Juli 1938 nicht mehr im Pratercottage gemeldet – vermutlich war er von den Nationalsozialisten gezwungen worden, seine Wohnung zu verlassen. Er lebte danach mehrere Wochen in der Villa seiner Schwester Emma Ehrenzweig (1190, Vegagasse 5; der renommierte US-amerikanische Rechtswissenschaftler Albert Armin Ehrenzweig war sein Neffe) und meldete sich am 22. August 1938 nach Prag ab. Dort verlieren sich Ernst Bachrachs Spuren.

Beide Männer verfügen über bemerkenswerte Biographien. Auf diese wird zu einem späteren Zeitpunkt jeweils einzeln und ausführlich eingegangen werden; vorerst sollen, um sich einen allgemeinen Überblick zu verschaffen, kurz … WEITERLESEN.

Freiburg, mon amour: Jean Lassner, Laufbergergasse 6, Schüttelstraße 15 und Böcklinstraße 35 (1913-1938)

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Freiburg im Winter 1934: Das Philosophen-Trio Jan Patočka, Edmund Husserl, Eugen Fink. Rechts: Hans Lassner.

Die Krise des europäischen Daseins hat nur zwei Auswege: Den Untergang Europas in der Entfremdung gegen seinen eigenen rationalen Lebenssinn, den Verfall in Geistfeindschaft und Barbarei, oder die Wiedergeburt Europas aus dem Geiste der Philosophie durch einen den Naturalismus endgültig überwindenden Heroismus der Vernunft. Europas größte Gefahr ist die Müdigkeit.
Edmund Husserl, Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie (Wien, Mai 1935)

Es waren, so schilderte es ein Beteiligter, ungewöhnlich milde Weihnachten gewesen. »Auf dem Schlossberg begannen die Forsythien zu blühen«, erzählte Jan Patočka, tschechischer Philosoph sowie, gemeinsam mit Václav Havel und Jiří Hájek, Sprecher der Bürgerrechtsbewegung Charta 77. Und so überlegten die Männer, kaum verwunderlich, die regelmäßigen Spaziergänge gar bis St. Ottilien auszudehnen, das idyllisch auf einer Anhöhe gelegene Waldheiligtum in der Nähe von Freiburg. Diese Fußmärsche wurden von intensiven, philosophisch grundierten Gesprächen begleitet, die vorwiegend um ein ganz spezielles Thema kreisten: die Phänomenologie. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand natürlich deren Begründer Edmund Husserl, einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts, damals 75jährig und – im Gegensatz zu seinem einstigen Assistenten Martin Heidegger, von dem er sich in … WEITERLESEN.

Trude Fleischmann fotografiert die Ärztin Hermine Cornides, Böcklinstraße 47 (1917-1938/39)

Als Trude Fleischmann rund um 1925 ihr mittlerweile berühmtes Foto von Hermine Cornides anfertigte, lebte letztere, eine Ärztin und gute Freundin von Fleischmann, gemeinsam mit ihrer Familie schon in der Villa Böcklinstraße 47 (bis 1938 oder 1939, laut Lehmanns Adressbuch). Das Getty Museum (Los Angeles), in dessen Sammlung sich dieses ausdrucksstarke Porträt einer hochgebildeten, literaturaffinen und sehr progressiven Frau befindet, hat das Foto auf seine Website gestellt:

http://www.getty.edu/art/gettyguide/artObjectDetails?artobj=70403

Mary Dear am Donaukanal: Die Häuser der Familien Vetsera und Baltazzi, Schüttelstraße 7-9 (ehemals 11, ab 1870) und Praterstraße

Mary Vetseras Geburtshaus am Schüttel.
»Ein zweistöckiges Haus mit breiter Einfahrt, darüber ein breiter Balkon in der Beletage«: Das Geburtshaus von Mary Vetsera in der Schüttelstraße. Foto: Baltazzi-Scharschmid/Swistun, Die Familien Baltazzi-Vetsera im kaiserlichen Wien.

Sultan Abdülmecid I. war, so wird erzählt, ein durchaus fortschrittlicher Mann. Theodore Baltazzi wird dies – vielleicht erfreut? – registriert haben. Der einflussreiche, in Konstantinopel ansässige Finanzmagnat unterstützte viele Projekte der Hohen Pforte, gemeinsam mit Bankiers wie den später in Paris bestens bekannten Camondos (Angehörige dieser Familie lebten übrigens auch in Wien). Der geschäftstüchtige Theodore verfügte zudem über eine weitere, ebenfalls ergiebige Einkommensquelle: Er kassierte die Mautgebühren für die Galata-Brücke, jene legendäre Überquerung des Goldenen Horns, die nach wie vor zum Pflichtprogramm ambitionierter Istanbul-Touristen zählt. Theodore Baltazzi ist aber auch für das Pratercottage von Bedeutung: Er war der Großvater von Mary Vetsera.

Haus Vetsera, Plan von Vazquez
Der Schüttel aus der Sicht von Carl Graf Vazquez (1830): Links im Bild ist das spätere Vetsera-Wohnhaus zu sehen.

Als nämlich der österreichische Diplomat Albin Freiherr von Vetsera (1825-1887) mit seiner um vieles jüngeren Frau Helene (1847-1925), geborene Baltazzi, Theodores Tochter und angeblich »das reichste Mädchen von Konstantinopel«, um 1870 einen Wohnsitz in Wien suchte, fiel ihre Wahl auf ein Gebäude am Donaukanal, das erstaunlicherweise auch an jene … WEITERLESEN.

Stauffenbergs Gefährten, Teil 1/2: Rudolf von Marogna-Redwitz, Böcklinstraße 27/Rustenschacherallee 12 (1938-1944)

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Von Misshandlungen gezeichnet: Rudolf von Marogna-Redwitz vor dem Volksgerichtshof in Berlin, Oktober 1944. Foto: Deutsches Bundesarchiv.
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Mit Marogna-Redwitz seit den 1920er Jahren bekannt: Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944), der Kopf von Operation Walküre.

In den 1950er Jahren, so wird erzählt, war die von Richard Esriel entworfene Villa zwischen Böcklinstraße und Rustenschacherallee in einem beklagenswerten Zustand. Nun präsentiert sie sich tipp-topp renoviert, mit kleinen Beeten in den Vorgärten, und nichts deutet auf ihre Vergangenheit hin, auf jene Tage, als sie ein Wiener Zentrum für Operation Walküre bildete, diese am 20. Juli 1944 so tragisch gescheiterte Verschwörung innerhalb der deutschen Wehrmacht. Mehr als 200 Personen wurden in der Folge hingerichtet, darunter auch ein Mann, der von Claus Schenk Graf von Stauffenberg persönlich mit der Walküre-Durchführung in Wien betraut war, ein Mann, der in erwähnter Villa wohnte: Rudolf von Marogna-Redwitz, Leiter der deutschen Abwehr in Wien und von großer Bedeutung für den österreichischen Widerstand, wurde nach einem Schauprozess vor Roland Freislers Volksgerichtshof am 12. Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee gehängt.

Von Makart zu Lueger: Hanna Liechtenstein-Klinkosch, Böcklinstr. 39 (1891–1922)

Foto: Atelier Adèle, Praterstraße 18.

1. Das It-Girl der Gründerzeit: Johanna Klinkosch auf einer Aufnahme aus 1868. Gemeinsam mit ihrer Schwester Paula zählte die 1849 geborene Tochter des Hoflieferanten Josef Carl von Klinkosch zu den begehrtesten Frauen Wiens. Die Manufaktur ihres Vaters, eines Produzenten von Silberwaren, befand sich in übrigens in der Afrikanergasse 3, unweit des Pratersterns also. Eine weitere Spurensuche erübrigt sich leider: Das Gebäude existiert nicht mehr.


2. Im Laufe der Jahre wurde Hanna Klinkosch zum Lieblingsmodell von Hans Makart (geb. 1840) und nahm häufig an dessen ausufernden Atelierfesten teil. Bis zu seinem Tod 1884 fertigte der begeisterte »Malerfürst« mehrere Porträts von ihr an (auch das Wien Museum ist im Besitz eines solchen). Hier sehen wir Klinkosch, Blumen streuend, im Zentrum seines 1878 entstandenen Gemäldes Der Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen. Das riesige Werk (Maße: 5,20 x 9,50 Meter) befindet sich in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle und wurde vor einigen Jahren aufwendig restauriert. Mehr zur Geschichte des Bildes – dem größten der Hamburger Institution übrigens – kann man hier, in einem Artikel der deutschen Tageszeitung Die Welt, nachlesen.