Der Prater, die Pferde und die Familie von Springer, Teil I

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Zwei Generationen einer Familie, die Österreichs Wirtschaftsgeschichte erheblich prägte: Der Wiener Industrielle Gustav von Springer (1842-1920) und seine Nachfahrin, Filmstar Helena Bonham Carter.

Das Foto erscheint am 28. Jänner 1934 im Wiener Salonblatt. Es zeigt einen etwa dreijährigen Jungen mit großen Augen, einer lustigen Frisur und bekleidet mit Hemd sowie kurzer Hose, der angesichts einer für ihn vermutlich neuen Situation ein wenig unsicher wirkt. Seine verschmutzten Schuhe evozieren den Gedanken, dass er eben noch gespielt hat, in einem Garten zum Beispiel. Der kleine Bub fixiert verlegen einen Punkt neben dem Kameraobjektiv. Vielleicht blickt er zu seiner Mutter (Mitglied einer berühmten Wiener Industriellenfamilie), oder zu seinem Vater (ein spanischer Diplomat), oder auch zum Kindermädchen. In der rechten Hand hält er, fast wie einen Taktstock, einen kurzen Stab, dessen Funktion unklar erscheint (Reitgerte?). Nun drückt Paula Witsch, Fotografin in der Wiener Prinz-Eugen-Straße 30, den Auslöser. Das Foto mit Felipe Propper de Callejón ist im Kasten.

20. Mai 1867: Generalversammlung der Wiener Dampfmühlen-Aktiengesellschaft, Schüttelstraße 19

Dampfmühle am Schüttel
Bezauberte 1867 ihre Aktionäre: Die Dampfmühle am Schüttel.

»Bei freiem Entrée für die Berichterstatter fand heute die 26. ordentliche Generalversammlung der Dampfmühlen-Aktiengesellschaft im Mühlengebäude am Schüttel statt. Mit Bangen betraten wir die geheiligten Räume, die wir als Ausgestoßene seit Jahren nur aus scheuer Entfernung zu betrachten gewagt, und mit Spannung harrten wir der Dinge, die da kommen sollten. Zunächst wurden den anwesenden 26 Aktionären (mit Einschluss der Verwaltungsräte) vom Vorsitzenden Dr. Höchsmann mitgeteilt, dass die Statthalterei den im vorigen Jahre beratenen Statuten nach einigen unwesentlichen Änderungen die Genehmigung erteilt habe. Hierauf folgte die Verlesung des Geschäftsberichtes, welcher die eingetretene Entwertung des Papiergeldes und die Erhöhung der Getreidepreise, erstere mit, letztere jedoch ohne Bedauern, erwähnt. Ferner wird zur Kenntnis gebracht, dass ein neues Gebäude und neue Maschinen zur Trockenvermahlung hergestellt wurden. […]

Bevor jedoch die Abstimmung vor sich geht, bringt Baron Sommaruga (Bruder des Verwaltungsrats) mehrere Übelstände zur Sprache. Namentlich rügt er die Höhe des Debitorenkontos, welches 302,265 fl. 75 kr. beträgt usw. Die anwesenden Aktionäre sind jedoch von dem ihnen bevorstehenden, wie es scheint seltenen Genuss einer Superdividende so bezaubert, dass sie dem Vertreter ihrer Interessen nur unwillig Gehör schenken. Am ungeduldigsten benehmen sich bei dieser Gelegenheit einige Aktionäre von … WEITERLESEN.

In der Hitze des Augenblicks: Alexander Haydter, Böcklinstraße 90
(ca. 1906–1909)

Gustav Mahler am Schreibtisch
Nachdenklich am Schreibtisch: Gustav Mahler im März 1907.

Hin und wieder stößt man, Musikfreunde wissen es, auf eine Fotografie, die Gustav Mahler an einem Schreibtisch zeigt. Details dazu werden nicht angegeben – der Ort der Aufnahme bleibt also im Dunklen. Auch in Richard Spechts 1913 verfassten Erinnerungen an den Komponisten wurde dieses Bild ohne nähere Erläuterung abgedruckt.

Tatsächlich aber entstand das Foto im Frühjahr 1907 – konkret: in der Karwoche von 25. bis 30. März -, als Mahler einige Konzerte in Rom dirigierte: Der Schreibtisch befand sich im Sekretariat der Accademia di Santa Cecilia (siehe Wiener Bilder, 3. April 1907). Das an der Wand hinter Mahler angebrachte Porträt zeigt daher vielleicht auch jene Heilige, die der berühmten Institution ihren Namen gab: Cäcilia von Rom, die Patronin der Kirchenmusik.

»I shall never be
different. Love me.«

schrieb W. H. Auden in seinem wunderbaren Poem Anthem for St. Cecilia’s Day, das von Benjamin Britten ebenso eindrücklich vertont wurde. 1957 wird sich Auden, der weltberühmte britische Lyriker (und Librettist), bekanntlich in der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Kirchstetten ansiedeln, unter anderem, um unkompliziert Aufführungen der Wiener Staatsoper besuchen zu können. »I shall never be different. Love me.« – Es sind Sätze, die … WEITERLESEN.

Gustav Mahlers Hofopernsemble: Vorschau auf Alexander Haydter, Böcklinstraße 90 (ca. 1906-1909)

Demnächst wird hier ein Text zu Alexander Haydter (1872-1919) erscheinen, jenem Bassbariton, der von Gustav Mahler an die Wiener Oper geholt wurde und dort ab 1905 zu den Stützen des Ensembles zählte. Als der von einflussreichen Gruppen heftig bekämpfte Mahler die Direktion im Haus am Ring resigniert zurücklegte, wohnte Haydter in der Valeriestraße Nr. 46 (heute: Böcklinstraße Nr. 90). Daher folgt nun als Ouvertüre zum kommenden Beitrag eine hemmungslos subjektive Zusammenstellung von Aufnahmen mit Haydters phänomenalen Kolleginnen und Kollegen an der Hofoper: Hermine Kittel, Haydters Gattin, ist zu hören; Elise Elizza, die, möglicherweise um antisemitischen Bemerkungen zu entgehen, ihren Geburtsnamen (Letztergroschen) abgelegt hatte; Selma Kurz, mit der Mahler eine Mini-Affäre hatte; Leo Slezak mit Karl Goldmarks einst so viel gespielter Oper Die Königin von Saba; Erik Schmedes auf italienisch; Leopold Demuth, der 1902 bei der Wiener Premiere von Ernani auf der Bühne stand; und Anna Bahr-Mildenburg mit ihrer einzigen Plattenaufnahme.

»Weine nicht!«. Marianne Golz-Goldlust und Rosi Haala,
Böcklinstraße 34 (1943)

Marianne Golz-Goldlust
Marianne Golz-Goldlust (1895-1943). Foto: Wikipedia.

In seinem jüngsten Roman Der Kalte (Suhrkamp, 2013) bettet Robert Schindel die Namen Golz sowie Goldlust in das Geschehen ein und verweist somit auf die 1943 in Prag hingerichtete österreichische Sängerin Marianne Golz-Goldlust. Ein Anlass also, um hier an diese wunderbare Frau zu erinnern, die als Mitglied einer Widerstandsgruppe vielen tschechischen Juden das Leben rettete. Dies geschah auch mit Hilfe ihrer Schwester Rosi, verheiratete Haala, die in der Böcklinstraße Nr. 34 lebte. Rosi wohnte zudem genau vis-à-vis von jener Villa, in der Rudolf von Marogna-Redwitz, der Chef der deutschen Abwehr in Wien, logierte – nur die Straße musste überquert werden.

Kartenausschnitt Böcklinstraße
Bildausschnitt: Google Maps.

Marogna-Redwitz, der hohe NS-Offizier, allerdings engagierte sich, wie wir nun wissen, für den Widerstand: er unterstützte österreichische Aktivitäten (Fritz Molden, Alfons Stillfried uvm.) und wurde 1944 als Verbündeter von Stauffenberg hingerichtet. Sein beruflicher Aktionsradius erstreckte sich zudem bis nach Prag, in jene Stadt also, in der Marianne Golz-Goldlust konspirative Treffen abhielt und an die Verfolgten gefälschte Ausweise verteilte. Parallel dazu wurden über Rosi Haala in Wien die finanziellen Transaktionen der Flüchtlinge abgewickelt. Dennoch deutet derzeit nichts darauf hin, dass Haala und Golz-Goldlust näheren Kontakt zu Marogna gehabt hätten. Auch von … WEITERLESEN.

Franz Wacik: Marineschauspiel im Schützengraben, Prater (1916)

Marine-Schauspiel, Schützengraben im Prater
Foto: BNF.

Wie andere renommierte österreichische Grafiker, darunter etwa der einzigartige, unvergleichliche Julius Klinger (Bildmaterial), fertigte, siehe obige Arbeit, auch Franz Wacik während des 1. Weltkrieges Propagandamaterial im Auftrag des k.u.k. Kriegspressequartiers an. Eine Auswahl seiner Illustrationen für das Wiener humoristische Magazin Die Muskete präsentiert übrigens der US-amerikanische Blog 50 Watts; ebendort, im Rahmen eines Beitrages über historische österreichische Kinderbücher, ist zudem eines seiner diesbezüglichen Coverdesigns abgebildet.

»Dir, lieber Stern und Mathilden«. Ottilie Hirschl-Porges-Natter, Schüttelstraße 3

Ottilie Hirschl-Porges-Natter
Ottilie Hirschl-Porges-Natter, 1850-1926.
Heinrich Porges
Richard Wagners enger Mitarbeiter, Ottilie Hirschls Schwager, Heinrich Natters Freund: Der Musikwissenschafter Heinrich Porges.

Vor kurzem erwarb ich in einem meiner Lieblingsantiquariate jene Monografie über den Bildhauer Heinrich Natter (1844-1892), die seine Witwe Ottilie im Jahr 1914 veröffentlicht hatte. Ottilie, die Tochter des hier schon erwähnten Industriellen Moritz (Moriz) Hirschl, hatte das von mir erstandene Exemplar offenbar ihrer Schwägerin Mathilde Stern sowie deren Mann Samuel, einem renommierten Wiener Mediziner (1830-1915; siehe Eintrag im Biographischen Lexikon der Akademie der Wissenschaften), geschenkt und auch eine diesbezügliche Widmung verfasst. Ich muss gestehen, dass ich sehr bewegt war, als ich die Widmung las und mich gleichzeitig gefragt habe, wie denn dieses Buch überhaupt in Umlauf gekommen war, bzw. welche Vorbesitzer es hatte. Vielleicht meldet sich ja nun auf Grund dieses Blogbeitrages jemand, der über die Geschichte dieses speziellen Buches Bescheid weiß. In gewisser Weise jedenfalls ist Ottilie Hirschl, die am Schüttel aufgewachsen war und hier auch mit Heinrich Natter gelebt hatte, mit meinem Buch nun wieder in dieses Viertel, das sie sehr geliebt hatte (»Unser liebes, freundliches ›Schüttelhaus‹ – an der Ecke zur Franzensbrücke«, schrieb sie), zurückgekehrt.

Mathilde Stern, der diese Monografie also verehrt wurde, war die Schwester von Ottilies … WEITERLESEN.