Innenaufnahmen Neuer Wiener Tattersall, Schüttelstraße 19a/Böcklinstraße 24 (1924)

Am 11. Dezember 1924 veröffentlichte Imre Békessy, berühmt-berüchtigt auch als Ahnherr des Revolverjournalismus, in der kurz zuvor von ihm gegründeten (und nach wie vor existenten) Zeitschrift Die Bühne eine Doppelseite über die gesellschaftlich hippen Aktivitäten der Wiener Reitinstitute. Illustriert wurde der Text (Autor: Dr. Hans Böhm) vorwiegend mit Fotos aus dem Neuen Wiener Tattersall – Békessys eifriger Fotograf Wilhelm Willinger (1938 Emigration nach Schanghai) hatte zu diesem Zwecke wohl einige Stunden am Schüttel verbracht. Nachfolgend nun Bilder sowie einige Auszüge aus dem Artikel, wobei besonders auf den dort erwähnten Felix Wolf verwiesen werden soll: Hier handelt es sich um jenen wohlhabenden Jugendfreund des Schriftstellers Hermann Broch, der 1927 dessen Teesdorfer Fabrik kaufen würde. Wolfs Gattin Martha, im Tattersall von der Bühne prominent ins Bild gerückt, arbeitete laut Broch-Biograph Lützeler zielstrebig daran, eine zentrale Stellung innerhalb der Wiener Haute-Volée einzunehmen. Doch 1931 ging das Unternehmen Lederer & Wolf bankrott und Felix Wolf erschoss sich in seinem Palais in der Prinz-Eugen-Straße 11.

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»Oben (von rechts nach links): Die Reitgesellschaft im Neuen Wiener Tattersall: Frau Martha Wolf, Herr Felix Wolf, Fabriksdirektor Ernst und Karl Geiringer, Direktor Geiringer, Herr Robert Rosenfeld, Herr Drexler, Fräulein Ella Feuerstein, Herr Dr. Ernst Krausz, Herr Franz Hauser,

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Spurensuche im Neuen Wiener Tattersall: Die Tragödie der Familie Schlesinger, Schüttelstraße 19a/Böcklinstraße 24 (1885-1938)

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Diese Aufnahme entstand am 19. März 1927: Teilnehmer des sogenannten Schlusskarussells, einer Reitsportveranstaltung, versammeln sich vor dem Neuen Wiener Tattersall. Im Hintergrund ist die Rustenschacherallee mit dem Clubhaus des Wiener Parkclubs zu sehen.

Loos kannte den jüdischen Besitzer des Tattersalls. Meine Mutter ging mit Loos zu ihm und brachte den Kaufpreis. Ich hatte kürzlich die Windsbraut an einen Hamburger Apotheker verkauft; die Summe genügte gerade für ein Pferd.
Oskar Kokoschka, Mein Leben. Bruckmann, 1971

Als Ann M. Lingg, wohnhaft im New Yorker Stadtteil Manhattan, im Mai 1995 verstarb, war dies für die New York Times Anlass, dazu eine Meldung ins Blatt zu rücken: Sie veröffentlichte einen kurzen Nachruf auf die renommierte Musikwissenschaftlerin, die unter anderem für das Magazin der Metropolitan Opera schrieb. Doch die Wurzeln der so Gewürdigten befinden sich in Wien: Ann M. Lingg – das war Anny Schlesinger, geboren in der Donaumetropole, Enkelin von Wilhelm Schlesinger, dem k.u.k. Hoflieferanten, Pferdehändler und Besitzer des Neuen Wiener Tattersalls in der Schüttelstraße 19a. Lingg, verheiratete Lessner, war von 1956 bis 1978 als letztes Familienmitglied Miteigentümerin dieser Liegenschaft, die im 19. Jahrhundert von ihren Vorfahren erworben wurde. Das Haus Nr. 19a – es zählt zu den ältesten Gebäuden im Pratercottage … WEITERLESEN.

Von Makart zu Lueger: Hanna Liechtenstein-Klinkosch, Böcklinstr. 39 (1891–1922)

Foto: Atelier Adèle, Praterstraße 18.

1. Das It-Girl der Gründerzeit: Johanna Klinkosch auf einer Aufnahme aus 1868. Gemeinsam mit ihrer Schwester Paula zählte die 1849 geborene Tochter des Hoflieferanten Josef Carl von Klinkosch zu den begehrtesten Frauen Wiens. Die Manufaktur ihres Vaters, eines Produzenten von Silberwaren, befand sich in übrigens in der Afrikanergasse 3, unweit des Pratersterns also. Eine weitere Spurensuche erübrigt sich leider: Das Gebäude existiert nicht mehr.


2. Im Laufe der Jahre wurde Hanna Klinkosch zum Lieblingsmodell von Hans Makart (geb. 1840) und nahm häufig an dessen ausufernden Atelierfesten teil. Bis zu seinem Tod 1884 fertigte der begeisterte »Malerfürst« mehrere Porträts von ihr an (auch das Wien Museum ist im Besitz eines solchen). Hier sehen wir Klinkosch, Blumen streuend, im Zentrum seines 1878 entstandenen Gemäldes Der Einzug Kaiser Karls V. in Antwerpen. Das riesige Werk (Maße: 5,20 x 9,50 Meter) befindet sich in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle und wurde vor einigen Jahren aufwendig restauriert. Mehr zur Geschichte des Bildes – dem größten der Hamburger Institution übrigens – kann man hier, in einem Artikel der deutschen Tageszeitung Die Welt, nachlesen.

Wagner, Vogue und Jesuitenwiese: Rositta Gutmann, Rustenschacherallee Nr. 28; Nr. 32-36; Nr. 40 und Böcklinstraße Nr. 55 (1912-1938)

Kühle Grandezza, umflort von Melancholie: Rositta Gutmann in der deutschen Vogue vom April 1929. Foto: Edith Barakovich.

Ende der 1920er Jahre wagte der renommierte US-Verlag Condé Nast ein Experiment: Sein Style-Flaggschiff, die Modezeitschrift Vogue, sollte nun auch in einer deutschen Ausgabe erscheinen. Die Redaktion wurde, wenig überraschend, im pulsierenden Berlin angesiedelt und das erste Magazin im April 1928 auf den Markt gebracht. Exakt ein Jahr später, am 10. April 1929, erschien man mit einem Heft, das schwerpunktmäßig neuen Autos und cooler Hutmode gewidmet war. Dem entsprechend zeigte auch Pierre Morgues Coverillustration eine sehr selbstbewusste Frau am Steuer. Dies bildete also den Rahmen für obiges Portrait von Rositta Gutmann, das auf Seite 8 zu finden ist. Geschaffen wurde es von Edith Barakovich (geb. 1896 in Zemun, damals ein Grenzort der Donaumonarchie, heute ein Stadtbezirk von Belgrad), jener jungen talentierten Wiener Fotografin, die gemeinsam u. a. mit Trude Fleischmann und ihrer Lehrmeisterin Dora Kallmus (Madame d’Ora) die traditionell männliche Szene der heimischen Lichtbildner seit längerem heftig durcheinander wirbelte. Barakovich, deren Atelier sich in Wien 4, Prinz-Eugen-Straße 30 befand, muss diese Veröffentlichung jedenfalls zu ihren Karrierehöhepunkten gezählt haben – für die Vogue (deren dt. Version Teile der US-Ausgabe übernahm) fotografierten bekanntlich internationale … WEITERLESEN.

Der Traum von Eretz Israel. Oskar Marmorek, Bauherr und Architekt der Häuser Böcklinstraße 59, 61, 63

Führende Zionisten und enge Freunde: Oskar Marmorek (1863-1909) und Theodor Herzl (1860-1904).

»Das ist das Bauamt,« sagte David. »Hier haust Steineck, unser erster Architekt. Von ihm ist der Stadtplan entworfen worden.«
»Der Mann hat eine große Aufgabe,« sprach Friedrich.
»Groß, jawohl, aber auch freudig. Er durfte aus dem Vollen schaffen, wie übrigens wir alle. Nie in der Geschichte sind Städte so rasch und herrlich erbaut worden wie bei uns, weil man nie vorher solche technischen Mittel zur Verfügung hatte.«
Theodor Herzl, Altneuland, 1902

Ein Jahr, bevor sein Haus in der ruhigen Straße zwischen Donaukanal und Prater errichtet wurde, hatte er noch eine flammende Rede gehalten. Es war am 23. August 1903, beim 6. Zionistenkongress in Basel, als Oskar Marmorek, begleitet von lebhaftem Beifall und Händeklatschen, nach der Einführung von Theodor Herzl das Wort ergriff. »Die zionistische Volksbewegung steht im innigen Kontakt mit dem Leben, den Leiden und Freuden des jüdischen Volkes, und diese sind es, welche seine Tätigkeit und Bemühungen bestimmen und dirigieren,« donnerte der im galizischen Pieskowa Skała geborene und seit 1875 in Wien ansässige Architekt in den Saal. »Noch auf dem ersten Kongresse konnte der große Schilderer der Lage der Juden seinem düsteren Bilde einige, wenn auch … WEITERLESEN.

Beethoven, der Schüttel und das Palais Rasumofsky (1810)

Joseph Mössmer, Im Prater, 1810 (Sammlung: Österreichische Nationalbibliothek)

Diese 1810 von Joseph Mössmer angefertigte aquarellierte Radierung ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen scheint der hier wiedergegebene Abschnitt des nunmehrigen Schüttels etwa auf Höhe der Paffrathgasse einen Bericht von Bettina Brentano auf bildhafte Weise zu unterstreichen: Brentano, die damals bei ihrer Schwägerin Antonie in der heutigen Erdbergstraße 19, in der palastartigen Birkenstock’schen Villa, wohnte, hatte am 15. Mai 1810 in einem ihrer Briefe an Goethe von einem morgendlichen Frühstück im nahen Prater geschwärmt: »Rund umher unter gewaltigen Eichen lagerten Türken und Griechen, wie herrlich nehmen sich auf grünem Teppich diese anmutigen buntfarbigen Gruppen schöner Männer aus!« Die so enthusiastisch beschriebenen Herren waren vermutlich Besatzungsmitglieder jener unzähligen Handelsschiffe, die damals den Donaukanal mit Südost-Europa verbanden und Wien mit Waren belieferten. Jene Männer nun, die Mössmer halb-liegend im Vordergrund plazierte, könnten angesichts der um 1800 im Osmanischen Reich üblichen Kleidung und Barttracht daher durchaus Türken sein.

»Schöner Palawatsch«. Ea von Allesch, Böcklinstraße 106, Löwengasse 47, Paracelsusgasse 9 (1915; 1918-1922)

Ea von Allesch (1875-1953)

Prolog

Angesichts der zahlreichen eklektizistischen Bauten, die sich hier versammeln, wirkt das Haus am Ende der Böcklinstraße fast schlicht. Golden glänzt der auf die Gründerzeit verweisende Fassadenschmuck in der frühen Morgensonne. Und die mittlerweile an den Mauern angebrachten Videokameras? Nun, sie stören den Gesamteindruck nicht wirklich. Man interessiert sich ja für andere Details. Für das dunkel schimmernde Tor zum Beispiel, das sie täglich passiert hatte. Damals, in der Anfangszeit des 1. Weltkriegs. Damals, als sie erneut nach Wien zurückgekehrt war. Damals, in jenen entscheidenden Tagen.

Der Aufstieg der Femme fragile als Femme fatale

»Vor etwa 5, 6 Jahren trat ich aus meinem Haus – vorbei die sog. Wasserleiche (Frau R.) eingehängt rechts Grossmann, links Polgar, fahren (warum?) wie sie mich sehn, auseinander« notierte Arthur Schnitzler um 1905 in sein Tagebuch. Die so unfein Titulierte war Emma Rudolph und in Wiens Künstlerkreisen nicht unbekannt. Schnitzler, der Alfred Polgar, dem unbeugsamen, wortgewaltigen Spötter, in herzlicher Abneigung verbunden war (gleiches gilt übrigens auch für Polgars Freund Stefan Großmann – in Schnitzlers Stück Das Wort werden die beiden entsprechend unfreundlich gezeichnet), ermöglicht uns mit dieser hingeworfenen Bemerkung, ein ganz bestimmtes, der Wiener Moderne eingeschriebenes Frauenbild zu rekonstruieren – ein Bild, … WEITERLESEN.