Trude Fleischmann fotografiert die Ärztin Hermine Cornides, Böcklinstraße 47 (1917-1938/39)

Als Trude Fleischmann rund um 1925 ihr mittlerweile berühmtes Foto von Hermine Cornides anfertigte, lebte letztere, eine Ärztin und gute Freundin von Fleischmann, gemeinsam mit ihrer Familie schon in der Villa Böcklinstraße 47 (bis 1938 oder 1939, laut Lehmanns Adressbuch). Das Getty Museum (Los Angeles), in dessen Sammlung sich dieses ausdrucksstarke Porträt einer hochgebildeten, literaturaffinen und sehr progressiven Frau befindet, hat das Foto auf seine Website gestellt:

http://www.getty.edu/art/gettyguide/artObjectDetails?artobj=70403

Denkschrift des Vereines zur Unterstützung mittelloser israelitischer Studierender in Wien: Arnold Ascher, Laufbergergasse 8/Böcklinstraße 2 (ca. 1906–1938)

Eigentlich war er ja in die Fußstapfen seines Schwiegervaters getreten. Schon Moriz Friedländer, der bedeutende Religionsphilosoph, hatte als Generalsekretär der von Baron Maurice de Hirsch, einem Förderer von Kronprinz Rudolf, initiierten karitativen Stiftung agiert. Nun erfüllt Arnold Ascher diese Aufgabe und bemüht sich intensiv um die finanzielle Unterstützung ärmlicher Landstriche in der Donaumonarchie, namentlich in Galizien und der Bukowina. Parallel dazu engagiert sich der fleißige Jurist und Bruder des Komponisten Leo Ascher überdies in der jüdischen Vereinigung B’nai B’rith. Letztere findet sich prominent auch in einer schön gestalteten Denkschrift aus dem Jahr 1911 wieder, die sich auf Stipendien für jüdische Studenten in Wien bezieht, wohl dank Aschers tatkräftiger Mitwirkung entstand und einen von ihm verfassten, ganzseitigen Artikel enthält. Sein Beitrag wird hier umrahmt von Texten, Zeichnungen und musikalischen Skizzen, die Sigmund Freud, Arthur Schnitzler (und auch sein Bruder), Vater und Sohn Korngold, Wilhelm Jerusalem, die Maler Jehudo Epstein, Isidor Kaufmann, Lazar Krestin und Emil Ranzenhofer, der renommierte Chemiker Adolf Lieben, der Neurologe Moriz Benedikt, der Orientalist David Heinrich Müller oder auch der Talmud-Experte Samuel Krauss (seine Tochter wohnte übrigens in der Böcklinstraße) zu diesem Anlass beisteuerten. Schwiegervater Moriz sowie Arnolds »Nachbarn«, Bruder … WEITERLESEN.

Die Witkowitzer Eisenwerke – Denkschrift 1928

Wer niemals in Witkowitz gewesen ist, kann nicht ermessen, welchen
gigantischen Umfang diese Unternehmung besitzt. Sie umfasst eine ganze
Stadt, die größer als beispielsweise Znaim ist und die tief in das Weichbild
Mährisch-Ostraus ihre eisernen Arme hinüberstreckt.
Aus: Das Mammutwerk Witkowitz (Die moderne Welt, Heft 6, 1924. Online auf anno)

Aus mysteriösen Gründen sind die riesigen Witkowitzer Eisenwerke, die sich bis zu ihrer »Arisierung« im Besitz der Wiener Familien Rothschild und Gutmann (siehe Text zu Rositta Gutmann, Rustenschacherallee/Böcklinstraße) befanden, in Österreichs kollektivem Gedächtnis kaum präsent. Zu Unrecht: Einst war diese mährische Unternehmung von großer wirtschaftlicher Bedeutung – sowohl für die Donaumonarchie als auch für die 1. Republik – und beschäftigte zeitweise mehr als 30.000 Menschen. Selbst die Geschichte der heimischen Bahn wäre ohne Witkowitz/Vitkovice, das, so der Plan in den Pioniertagen der nunmehrigen ÖBB, mittels rascher und leistungsfähiger Lokomotiven an Wien angeschlossen werden sollte, anders verlaufen. Die tschechische Nationalbibliothek hat im Zuge ihres Digitalisierungsprojekts nun zwei Foto-Broschüren der Eisenwerke online gestellt. Die erste stammt aus dem Jahr 1914, als Heinrich Wiedmann (ca. 1843-1916), der viele Jahre erfolgreich als Prokurist die Agenden der Gebrüder Gutmann vertrat, gemeinsam mit seiner Familie die Villa in der Böcklinstraße 35 … WEITERLESEN.

Joyce, Triest und die Creditanstalt: Die Familie Blum-Gentilomo, Böcklinstraße 8 (?) und 12 (ca. 1908-1929)

Triest, Canale Grande, 1914
Kosmopolitisch, multikonfessionell und pulsierend: Triest, Brücke über den Canal Grande, 1914. Foto: ÖNB.

Leopold Bloom, die durch Dublin wandelnde Hauptfigur des Ulysses, wurde also nach Ludwig Blum-Gentilomo benannt.
John McCourt, viele Jahre Professor an der Universität von Triest und nun an der Universität Rom III lehrend, ist dieser Meinung. Es habe mehrere Blums in Triest gegeben, so McCourt in seinem auf intensiver Recherche basierenden Buch The Years of Bloom: James Joyce in Trieste 1904-1920, doch jener Blum, den Joyce »am ehesten gekannt haben könnte«, wäre »Luis«, ein Geschäftspartner von Leopoldo Popper, gewesen. Daher: Leopold Bloom.

Was ist mit Molly Bloom?
Faszinierende Entdeckung: Ein wichtiges Detail ihrer Biographie führt möglicherweise zu Bianca Blum-Gentilomo, Ludwigs Gattin.

Schildere die diesbezügliche Ausgangslage.
Joyces virtuoses Jonglieren mit dem Namen »Blum«: Im Ulysses finden wir Bloom (Leopold und Molly), Virág (das ungarische Wort für Blume, Nachname von Leopolds Vater Rudolph) und Flower (das englische Wort für Blume, Leopolds Pseudonym).

Stammte Ludwig Blums Vater aus Ungarn?
Ja.

Kümmere dich nun um Bianca. Trage alles zusammen, was derzeit an Informationen über sie verfügbar ist. Destilliere daraus das Wesentliche.
Bianca Blum-Gentilomo, geboren 1881 in Triest, war offenbar befreundet mit Bruno Walter. Bedeutender Dirigent, enger Mitarbeiter von Gustav … WEITERLESEN.

Stille Genugtuung: Simon Wiesenthal, Böcklinstraße 48 (1962–1969)

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Unauffällig und doch historisch bedeutsam: Das 1962 von Simon Wiesenthal und Juda F. erworbene Haus Böcklinstraße 48.

Dieser Kaufvertrag ist anders. Und er berührt auf ganz besondere Weise. In die Geschichte jener Straße, in der Adolf Eichmann 1938/39 gewohnt hatte, wird sich nun Simon Wiesenthal einschreiben. Gemeinsam mit dem Wiener Geschäftsmann Juda F. erwirbt der unermüdliche Kämpfer für Gerechtigkeit und Sühne im August 1962 ein dreistöckiges Gründerzeitgebäude in der Böcklinstraße 48. Es ist eine würdevolle Form von Rückgewinnung, eine Wiederaneignung, die still vor sich geht, in diesen beiden Männern aber vermutlich große Emotionen auslöst: Nur kurz zuvor, im Mai 1962, war Eichmann im Gefängnis von Ramla bei Tel Aviv hingerichtet worden. Wiesenthal und F. – er ist Mehrheitseigentümer – werden dieses Haus, das nur einige hundert Meter von der einstigen Wohnstätte des NS-Verbrechers entfernt ist, mehrere Jahre besitzen und dann im Dezember 1969 wieder verkaufen.

Simon Wiesenthal starb im September 2005 in Wien, sein Grab befindet sich im israelischen Herzlia (benannt nach Theodor Herzl). Um mehr über ihn zu erfahren, empfiehlt es sich, Tom Segevs zwar gelegentlich etwas sprunghafte, aber natürlich dennoch herausragende Biographie über diesen beeindruckenden Österreicher, »eine vielschichtige Persönlichkeit mit außerordentlichen Verdiensten« (Ian Kershaw), zu lesen. Der bemerkenswerte … WEITERLESEN.

Stauffenbergs Gefährten, Teil 1/2: Rudolf von Marogna-Redwitz, Böcklinstraße 27/Rustenschacherallee 12 (1938-1944)

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Von Misshandlungen gezeichnet: Rudolf von Marogna-Redwitz vor dem Volksgerichtshof in Berlin, Oktober 1944. Foto: Deutsches Bundesarchiv.
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Mit Marogna-Redwitz seit den 1920er Jahren bekannt: Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944), der Kopf von Operation Walküre.

In den 1950er Jahren, so wird erzählt, war die von Richard Esriel entworfene Villa zwischen Böcklinstraße und Rustenschacherallee in einem beklagenswerten Zustand. Nun präsentiert sie sich tipp-topp renoviert, mit kleinen Beeten in den Vorgärten, und nichts deutet auf ihre Vergangenheit hin, auf jene Tage, als sie ein Wiener Zentrum für Operation Walküre bildete, diese am 20. Juli 1944 so tragisch gescheiterte Verschwörung innerhalb der deutschen Wehrmacht. Mehr als 200 Personen wurden in der Folge hingerichtet, darunter auch ein Mann, der von Claus Schenk Graf von Stauffenberg persönlich mit der Walküre-Durchführung in Wien betraut war, ein Mann, der in erwähnter Villa wohnte: Rudolf von Marogna-Redwitz, Leiter der deutschen Abwehr in Wien und von großer Bedeutung für den österreichischen Widerstand, wurde nach einem Schauprozess vor Roland Freislers Volksgerichtshof am 12. Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee gehängt.