Exkurs: 16, Place Vendôme, Paris. Auf der Suche nach dem Wiener Starfotografen Franz Löwy (1883-1949)

Franz Löwy: Die Wiener Tänzerin Ossy Rondyer
Die Wiener Tänzerin mit ihren Lieblingen: Das für Franz Löwy sehr typische Porträt von Ossy Rondyer erschien im August 1928 im Magazin Frisierkunst der Mode.

[Anmerkung: Ob der Wiener Fotograf Franz Löwy, dessen Arbeiten die heimischen Lifestyle-Zeitschriften vor dem »Anschluss« in erheblichem Maße prägten, eine nähere Beziehung zum Pratercottage hatte – ich weiß es nicht. Wiewohl: Ja, er war vermutlich mit Emil Mayer gut bekannt. Dieser Artikel jedenfalls entstand im Bemühen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, da zu Löwys Dependance in Paris sowie zu seinem Schicksal nach 1938 bis dato kaum Informationen auffindbar waren.]

Ein Text über 16, Place Vendôme könnte durchaus um Henry Miller kreisen. In diesem Fall hätten wir ein nobles Pariser Gebäude, angesiedelt an einem der teuersten Plätze der Seine-Metropole, sowie einen in der Montparnasse-Bohème verankerten US-Schriftsteller – und dennoch würde besagte Abhandlung auch nach Wien führen. Wir könnten, falls wir an komplizierten biographischen Querverweisen interessiert wären, sogar den wilden William S. Burroughs ins Spiel bringen, ebenso Nabokov mit seiner Lolita. Wir könnten Seite um Seite füllen mit ambitionierten Analysen zu erotischer Belletristik im 20. Jahrhundert, zur Geschichte ausufernder Literaturskandale, zu umstrittenen Verlegern, empörten Journalisten und erfreuten Lesern. Kurz: Wir könnten uns mit Jack Kahanes Obelisk Press auseinandersetzen (und, siehe Burroughs, Nabokov etc., zudem als Sidestep mit der Olympia Press seines Sohnes Maurice Girodias), einem Verlag, dessen Räumlichkeiten sich in den 1930er Jahren in 16, Place Vendôme befanden. Hier wurde 1934 Henry Millers Wendekreis des Krebses publiziert, jener in mehreren Ländern sogleich verbotene Roman, in dem Miller seinen engen Freund Alfred Perles, einen Wiener, erstmals literarisch verewigte.

Der charismatische Perles, ein angehender Schriftsteller, war nach dem 1. Weltkrieg aus der krisengeschüttelten Donaumetropole nach Paris übersiedelt (Jahre später wird er in mehreren Texten Kindheitserlebnisse auf der Schmelz Revue passieren lassen). Ähnlich agierte eine bekannte Protagonistin der Wiener Fotografenszene: Dora Kallmus (Madame d’Ora) arbeitete Anfang der 1920er Jahre mehrere Wochen in Frankreichs quirliger Hauptstadt (siehe etwa ihren 1923 in der Modernen Welt veröffentlichten Text Pariser Brief, der unter anderem von einem Porträt der »großen Schneiderin« Coco Chanel begleitet wird), eröffnete 1925 ebendort ein Atelier und verlegte 1927 ihren Lebensmittelpunkt schließlich gänzlich an die Seine. Und auch Franz Löwy, der wie Kallmus seit Jahren zu den meistbeschäftigten Wiener Porträtisten zählte, sah für sich in Paris erhebliche berufliche Chancen. Die beiden wählten somit eine Metropole, zu deren High Society praktischerweise Verwandte von einflussreichen Wiener Bankiers und Industriellen zählten, Mitglieder der Familien Rothschild, Ephrussi und Springer zum Beispiel. Zur stadtbekannten Prominenz hatte zudem auch Rosalie »Rosa« von Gutmann (1862-1923) gezählt, jene berühmte Salondame – unter ihren Gästen befanden sich sowohl Marcel Proust als auch Charles Haas, der wie Charles Ephrussi als Role Model für den Proust’schen Swann diente – und Freundin der Schriftstellerin Edith Wharton, die ein unglückliches Dasein an der Seite ihres Ehegespons Robert Fitz-James führen musste; sie, die in Wien als Tochter des »Kohlenbarons« Wilhelm von Gutmann geboren wurde (ihr Bruder Max spielte eine zentrale Rolle in der Führung der Witkowitzer Eisenwerke), wohnte unter anderem in einem beeindruckenden, 1704 erbauten Palais in 142, Rue de Grenelle (heute befindet sich dort die Schweizer Botschaft). Im Louvre übrigens hängt ein Gemälde aus ihrem ehemaligen Besitz: Die kinderlose, als »schwermütig« beschriebene Rosa vermachte dem Museum Jacques-Louis Davids Porträt der Marquise d’Orvilliers (siehe auch Todesanzeige im Herbst 1923).

Franz Löwy nun kannte Paris von früheren, auch beruflichen Aufenthalten bestens. Er setzte überdies, nicht unklug angesichts des anvisierten Kundenkreises, ebenfalls auf Eleganz: Das, wie von Zeitgenossen besonders betont wurde, sehr modern designte Studio des Fotografen befand sich – ja genau! – in oben erwähntem Gebäude 16, Place Vendôme, mit grandiosem Ausblick auf den berühmten Platz. Als Streiflicht auf seine Tätigkeit in Paris soll hier eine von französischen Zeitschriften gecoverte Ausstellung dienen: Im Frühjahr 1928 präsentierte Löwy eine sorgsam konzipierte Zusammenstellung mehrerer seiner Porträts, die, neben Richard Strauss, den Wiener Komponisten Ernst Krenek ebenso umfasste wie den französischen Tennisliebling Suzanne Lenglen, den der Montparnasse-Szene zuzurechnenden Maler Tsuguharu Foujita sowie den literarisch tätigen Dandy André de Fouquières, einen Freund von Rosa (Gutmann) de Fitz-James. Ebenfalls Teil der Ausstellung war ein Foto der Schauspielerin Renée/Maria Falconetti, die mit Carl Theodor Dreyers Meisterwerk Die Passion der Jeanne d’Arc – es war in eben diesem Frühjahr im Kopenhagener Palads-Kino uraufgeführt worden, die Pariser Premiere würde erst im Oktober 1928 erfolgen – in die Filmgeschichte einging.

Im Mai 1928 berichtete das Magazin La Semaine à Paris über Löwys Ausstellung und offerierte dazu überdies eine mehrseitige Bildstrecke (online abrufbar). Paris, so wurde dort erklärt, gelte ja bekanntlich als Metropole des Stils und der Verführung, »aber auch eine andere Stadt besitzt dieses Geheimnis: Wien.« Alfred Grünberger, der österreichische Botschafter in Paris (und zuvor, 1922-24, Außenminister), wurde in diesem Artikel zwar nicht erwähnt, stand Franz Löwy aber vielleicht hilfreich zur Seite – kulturinteressiert, gesellschaftlich sehr aktiv und in unmittelbarer Nähe des Arc de Triomphe, in 15, Rue Beaujon ansässig, hatte seine Familie den Fotografen einmal etwa für einen ganz speziellen Auftrag engagiert: als sich Grünbergers Stieftochter Alma 1926 in Paris mit dem Wiener Paul Otto Passini, einem Nachkommen des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, vermählte, war dies von Löwys Kamera begleitet worden (siehe Vogue, Februar 1927).

Franz Löwy
Porträtist der Stars und Sternchen: Franz Löwy, der Wiener aus Mährisch-Ostrau. Dieses Foto war auch am brasilianischen Visum angeheftet.

Zehn Jahre nach besagter Ausstellung war Franz Löwy erneut in Paris. Die Anwesenheit in der Seine-Metropole war nun aber einem anderen, diesmal tristen Grund geschuldet: Löwy, der seit 1917 in der Königsklostergasse 7 (1060 Wien) gewohnt und, neben den zeitweiligen Dependancen in Paris und Karlsbad, sein Atelier in der benachbarten Mariahilfer Straße 17 geführt hatte – er sah sich nach dem »Anschluss« als Jude zur Emigration gezwungen. In Paris, so recherchierte Samanta Benito-Sanchez 2009 für ihre Diplomarbeit zu Wiener Pressefotografen der Zwischenkriegszeit (Universität Wien, pdf) , setzte der Fotograf seine berufliche Tätigkeit fort, bis er erneut flüchten musste. Dank eines kürzlich aufgetauchten Dokuments lässt sich sein weiteres Schicksal nun in Ansätzen nachverfolgen: Schon im März 1934 nämlich hatte sich der im mährischen Ostrau geborene Löwy in Wien einen tschechoslowakischen Pass ausstellen lassen. Mit diesem, und unter dem Namen Frantisek Lowy, suchte er in Marseille um ein brasilianisches Visum an. Im Jänner 1941 wurde ihm das so sehnlich gewünschte Dokument ausgestellt, danach war es dem Fotografen offenbar gelungen, nach Rio de Janeiro zu gelangen. Am 2. Mai 1949, so entdeckt man in Sepulturas de israelitas: Uma pesquisa em mais de trinta cemtérios não israelitas, einer von Egon und Frieda Wolff zusammengestellten Übersicht über jüdische Friedhöfe in Brasilien, ist Franz Löwy (bzw: Frantisek Lowy) in seinem Exil verstorben. Wo genau er und seine Frau Rosa begraben sind, lässt sich aus der im Internet nur als Snippet verfügbaren Buchansicht leider nicht eruieren.

LITERATUR
Edith Wharton, A Backward Glance (Autobiographie, die sich auch mit Wilhelm von Gutmanns Tochter Rosa de Fitz-James beschäftigt. Online u. a. im australischen Project Gutenberg verfügbar)
Patrick Mansur Freiherr von Richthofen, The Booster/Delta nexus: Henry Miller and his friends in the literary world of Paris and London on the eve of the second world war (Informationen zu Alfred Perles, u. a. zu seinem Text Dans les Neiges de la Schmelz. 1987; Durham Theses, Durham University. Online als pdf)

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Georg Gaugusch

    Laut Wolff/Wolff: Sepulturas de Israelitas II p.55 wurden Frantisek und Rosa Löwy auf dem Cemitério de São João Batista in Rio de Janeiro beigesetzt. Er starb laut Grabstein am 2. Mai 1949, seine Frau Rosa am 11. September 1962.

  2. Eva Maria Mandl

    Herzlichen Dank für die Information!
    Wie ich sehe, wurde Löwys Wikipedia-Artikel gerade eben nun auch diesbezüglich ergänzt. Das ist fein und freut mich.

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