Neue Freie Presse, 19. März 1902

Als im November vorigen Jahres der Opernsänger Herr Erich [sic] Schmedes mit dem Titel eines Kammersängers ausgezeichnet worden war, erschien bei ihm Herr Leopold Spitzer, der Herausgeber des Witzblattes Die Wespen, und schlug ihm, wie er in einer gegen Herrn Schmedes eingebrachten Klage erzählt, vor, sein Bild in die Wespen einrücken zu lassen. Herr Schmedes stimmte zu, es wurde ein Betrag von 60 K. als Ersatz der Kosten für die Einrückung des Bildes vereinbart und der 15. Januar 1902 als Tag der Bezahlung dieses Betrages festgelegt. Herr Schmedes zahlte, so heisst es weiter in der Darstellung des Klägers, an diesem Tage nicht; Herr Spitzer besuchte ihn daher wenige Tage später im Café Imperial, um ihn zu mahnen, und da sagte ihm der Sänger, er trete gerade eine Gastspielreise nach Graz an und werde nach seiner Rückkehr bezahlen. Tatsächlich schickte er am 1. Februar 20 K.; da er aber von weiteren Zahlungen nichts wissen wollte, brachte Herr Spitzer durch seinen Vertreter Dr. F. Benesch die Klage ein. In der heute vor dem Bezirksgerichte Innere Stadt, Gerichtssekretär Dr. Straßl, hierüber durchgeführten Verhandlung wurde der Fall in der durch Regierungsrat Dr. Steger vertretenen Klage-Beantwortung anders dargestellt. Danach erschien nämlich Herr Spitzer, nachdem Herr Schmedes zum Kammersänger ernannt worden war, einmal gegen 7 Uhr Abends in dessen Wohnung, als der Sänger gerade mit seinem Korrepetitor beschäftigt war. Er wollte sich durchaus nicht abweisen lassen und wurde, da er vorgab, dass er Herrn Schmedes wichtige Mitteilungen zu machen habe, schließlich vorgelassen. Herr Schmedes wollte von dem Einrücken des Bildes nichts wissen, Herr Spitzer redete ihm aber länger als eine halbe Stunde zu, sodass der Sänger, nur um ihn loszuwerden, scheinbar zustimmte. Sogleich nachdem Herr Spitzer weggegangen war, eilte er jedoch in das nächste Kaffeehaus, schlug im Lehmann dessen Adresse nach und schrieb ihm einen Brief des Inhaltes, dass er von der Einrückung des Bildes absehe. Das Weitere spielte sich, wie in der Klage geschildert, ab, nur habe der Kläger nicht angegeben, dass Herr Schmedes damals im Café Imperial in Gesellschaft mehrerer Herren saß und wieder nur, um den Mahner los zu werden, gesagt habe: »Also schicken sie zu mir [sic], bis ich von der Grazer Gastspielreise zurückkomme.« Dann habe Herr Schmedes, um Ruhe zu haben, Herrn Spitzer 20 K. geschickt und damit die Sache als erledigt betrachtet. Der Kläger, als Partei vernommen, erklärte, den Absagebrief des Herrn Schmedes nicht erhalten zu haben. – In juristischer Beziehung wendete Dr. Steger gegen die Klage ein, dass Herr Schmedes sich in einer Zwangslage befunden habe, da er den Kläger nicht los werden konnte und es ihm nicht gegeben sei, unliebenswürdig zu sein. Durch den Absagebrief sei er überdies auch sofort von dem nur scheinbar geschlossenen Vertrage zurückgetreten. Ein auf solche Art zustandegekommener Vertrag sei eine turpis causa, daher nichtig. Der Richter entschied, Herr Schmedes sei schuldig, den Betrag von 40 K. samt Kosten zu bezahlen. Von einer Zwangslage könne keine Rede sein, weil kein Umstand darauf schließen lasse, dass er begründete Furcht gehabt hätte. – Es mag das zur Warnung für die Künstler dienen, damit sie solchen Anträgen gegenüber keine unzweckmäßige Schwäche an den Tag legen, sondern sie rundweg ablehnen.

»Ich klage deshalb Herrn Karl Kraus an.« Leopold Spitzer, Schüttelstraße 51 (1901, 1902)
Originalseite auf anno.onb.ac

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar