Ludwig (Ritter von) Förster und die Zinner’sche Zuckerraffinerie, Franzensbrückenstraße 17 (1839)

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Nachdem Theophil von Hansen derzeit vielfach gewürdigt wird, muss hier natürlich an den ähnlich produktiven, fatalerweise aber ziemlich vergessenen Schwiegervater des dänischen Architekten erinnert werden. Bevor sich Ludwig Förster (1797-1863), kurz vor seinem Tod zum Ritter ernannt, mit seinen Palais für die Familien Pereira-Arnstein, Rothschild, Drasche (Gustav Mahler-Hof) oder Todesco ins Stadtbild der Wiener City einschrieb, bevor er die Synagoge in der nahen Leopoldstädter Tempelgasse entwarf – und auch jene in Budapest, sie ist Europas größte -, bevor er Otto Wagner zur ersten Anstellung verhalf, gemeinsam mit Hansen das Arsenal errichtete und die Ringstraße mitplante, in jenem Jahr 1839 also, in dem er über weiteren Ausgaben seiner höchst lobenswerten publizistischen Schöpfung, der Allgemeinen Bauzeitung, brütete, wurde in der Franzensbrückenstraße ein auf seinen Plänen basierendes Fabriksgebäude eröffnet.

Ludwig Ritter von Förster
Dieser Mann spazierte über die Baustelle in der Franzensbrückenstraße: Ludwig Ritter von Förster (1797-1863).

Die für Demeter Zinner errichtete Zuckerraffinerie, eine der spannendsten Wiener Industrieanlagen des 19. Jahrhunderts, erstreckte sich unweit des kurz zuvor eröffneten Nordbahnhofes auf der Höhe der nunmehrigen Vivariumstraße bis in den Prater – und lässt sich auch heute noch gut im Stadtbild nachvollziehen. Leider konnte sich Zinner, dessen Familie Jahre später die Anglo-Österreichische Bank mitbegründen wird, nicht lange an seiner Raffinerie erfreuen: 1848, im Zuge der heftigen Kämpfe an Schüttel- und Franzensbrückenstraße, wurde sie ein Raub der Flammen. Dass die Versicherung den Schaden ersetzte, ist durchaus möglich – quasi als Präzedenzfall dient uns hier Zinners ähnlich in Mitleidenschaft gezogene Nachbarin, die Ignaz Mack’sche Zuckerraffinerie am Schüttel, deren empörter Klage gegen die zahlungsunwillige k.k. wechselseitige Brandschaden-Versicherungsanstalt vom Gericht stattgegeben wurde. Wie auch immer: Die Fabrik in der Franzensbrückenstraße wurde flugs wieder aufgebaut (wiewohl in den kommenden Jahren mit den Gebrüdern Klein andere Besitzer über sie verfügen werden). Ludwig Förster, »k.k. Architekt und akademischer Professor, Hausbesitzer und Besitzer einer artistischen Anstalt, Leopoldstadt, Taborstraße 367; Bureau und Exped. der Allgemeinen Bauzeitung, Stadt, Wollzeile 869« (Lehmanns Adressbuch, 1859) jedenfalls wird diese Instandsetzung mit Wohlwollen begleitet haben. Sein ehemaliger Bauherr, ein Mann von offenbar beeindruckender physischer Konstitution, überlebte den Architekten übrigens um mehrere Jahre: Demeter Zinner verstarb am 7. Juli 1871 und wurde, wie die Neue Freie Presse in ihrer Chronik berichtete, nach einer Zeremonie in der Wiener griechisch-orthodoxen Kirche (Architekt: Theophil von Hansen) am Schmelzer Friedhof in der Familiengruft beigesetzt.

Stadtplan mit Franzensbrückenstraße, 1847
Gut zu sehen: Die Zinner’sche Zuckerraffinerie auf einem Stadtplan, der 1847 in Ludwig von Försters Allgemeiner Bauzeitung veröffentlicht wurde.
Zuckerraffinerie Zinner-Situationsplan
Aus dem Atelier des späteren Ringstraßen-Architekten: Försters Situationsplan der Zuckerraffinerie Zinner.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Sanne

    Wie immer toll recherchierter Beitrag, herzlichen Dank.

    Eine Frage: Bist Du jemals über einen Baron von Szemsö gestolpert. Er soll Rennstallbesitzer gewesen sein und im 2. Bezirk ein Haus besessen haben, in dem er eine Art „Spielkastell“ (was immer man sich darunter vorstellen mag) etabliert hatte.
    Ich bin über die „Nachforschungen“ zu Marietta Johanny-Piccavera, die als eine der schönsten Frauen Wiens gegolten hat, auf Szemsö gestoßen. Alles so zwischen 1914 und 1920-22.
    Im Lehmann findet sich nichts dazu.

    Liebe Grüße – S

  2. Eva Maria Mandl

    Hm, nein, ich bin noch nicht über ihn gestolpert, aber danke für den superinteressanten Hinweis! In ihrem Roman Das heimliche Fest, der in einer verfallenen Villa im Pratercottage angesiedelt ist, erwähnt Dorothea Zeemann einen Baron, der nach einem Duell seinen Dienst bei den Husaren quittieren musste:

    »Der erbt späterhin eine Villa am Rande des Wurstelpraters, die hervorragend geeignet ist, einen noblen Spielsalon zu verstecken.«

    Also ein ungarischer Baron, der ein guter Reiter war und eine »Spielhölle« betrieb. Ob diese Romanfigur nur dem Zufall entsprungen ist? Ausserdem sind (bzw. waren) einige Häuser hier mit dem Pferdesport verbunden: mehrere Villen hatten eigene Stallungen, der Neue Wiener Tattersall, usw. Also durchaus möglich, dass Szemsö (vielleicht Stefan oder Carl Szemzö von Kamjonka? Die beiden werden 1904 im Jahresbuch der Trabrennen in Österreich-Ungarn erwähnt: Link) hier wohnte.

    Ich bleibe dran :)

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