Wien-Brünn-Wien: Die Gebrüder Klein, Franzensbrückenstraße (Mitte 19. Jhdt.)

Gebrüder Klein (Lithographie)
Stolze Vertreter der k.u.k. Bauindustrie: Die Gebrüder Klein (Lithographie von Josef Kriehuber).

Es war ganz einfach für Franz Klein: Er hatte nur einige hundert Meter zum nahen, am Rande des Praters gelegenen Bahnhof der Kaiser Ferdinands-Nordbahn zu überwinden. Dort lässt er sich in einem Waggon der ersten Klasse nieder, tuckert über Marchegg und Lundenburg (Breclav) nach Brünn (Brno), steigt am mährischen Bahnhof aus, spaziert die Ferdinandsgasse (nun: Masarykova) hoch und voilà, da steht es schon: sein Familienpalais, entworfen von Ludwig Förster und Theophil Hansen, die Zierde des Großen Platzes (nun: Námesti Svobody), ein Gebäude zudem, das perfekt die rasante wirtschaftliche Transformation der Donaumonarchie symbolisiert. Eine Transformation, die nämlich auch auf dem Eisenbahnbau beruhte. Und diese Eisenbahnen, deren Schienennetz nun vom Wiener Nordbahnhof zu riesigen Bergwerken und neuen Fabriken in Mähren und Schlesien führt – ihre Entwicklung ist unter anderem mit drei Namen verbunden: mit Salomon von Rothschild, dem Ahnherrn der österreichischen Eisenbahnen (1836 erhielt der Bankier eine diesbezügliche Konzession von Kaiser Ferdinand, kurz danach begann der Bau der Kaiser Ferdinands-Nordbahn); mit Franz Xaver Riepl, Geologe und Spiritus Rector der Lokomotivbahnen; und mit den Gebrüdern Klein, die für die Realisierung von Tausenden Schienenkilometern verantwortlich zeichneten. Letztere waren schon in die ersten Abschnitte der Kaiser Ferdinands-Nordbahn involviert: »Die Ausführung der Erdarbeiten und gemauerten Brücken von Wien bis Floridsdorf und von da bis Gänserndorf wurde den Gebrüdern Klein für den Betrag von 175.599 Gulden überlassen«, berichtete Hermann Strach in der Geschichte der Eisenbahnen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1898). Und er ergänzte lobend: »Diese Bauunternehmung, der wir für die Folge fast bei jedem grösseren Eisenbahnbaue begegnen, gehörte zu denjenigen, welche dazu beitrugen, den guten Ruf der österreichischen Bautechnik zu begründen.« Eisenbahnexperte Strach zollte also höchste Anerkennung. Aber auch Architekt Förster war begeistert:

Nur selten wird dem Architekten das Glück zu Teil, Wohngebäude von Grund aus nach seiner eigenen Auffassung mit angemessenem Schmuck und den gediegensten zu Gebot stehenden Materialien auszuführen. Freudig ergriff ich daher den Auftrag meines schätzbaren Freundes, des Herrn Franz Klein, Chef der weitverzweigten Bauunternehmer Gebrüder Klein, auf dem großen Platze in Brünn an der Stelle eines alten Gebäudes ein neues Haus zu bauen, das lediglich von seiner Familie bewohnt werden und nur zu beiden Seiten des Torweges vermietbare Kaufläden erhalten sollte. Im Übrigen war es der Wunsch des Bauherren, als Besitzer sehr ausgedehnter Eisenwerksgeschäfte, ein Beispiel der Anwendbarkeit des Eisens in der Architektur an seinem Bau zu geben und alle Teile desselben auf das solideste, ohne Überladung auszustatten, wozu auch die sehr kleine Baustelle aufgefordert hat, auf der eine nicht unbedeutende Anzahl Wohn- und Diensträume auszumitteln war.
(Allgemeine Bauzeitung, 1848)

Palais Klein, Brünn
Errichtet 1848: Das von Ludwig Förster und Theophil Hansen für Franz Klein entworfene Palais in Brünn. Foto: Eva Maria Mandl (2013).

Biographische Spuren der geschäftstüchtigen, aus Mähren stammenden Gebrüder, für deren Wirken sich mittlerweile tschechische Historiker verstärkt interessieren, findet man allerdings nicht nur in Brünn, sondern auch in Wien: das riesige Gebäude Praterstraße 42 etwa entstand 1862 im Auftrag von Albert von Klein (Text, Pläne) und war als Familiensitz gedacht, das durch Vermietung weiterer Wohnungen zusätzliche Einnahmen generieren sollte. Entworfen vom den Gebrüdern nun bestens bekannten Duo Ludwig Förster/Theophil Hansen, existiert es nach wie vor, wobei in einem der schönen, zur Czerningasse führenden Innenhöfe noch die historische Straßenbezeichnung »Jägerzeile 55-57« zu sehen ist. In diesem nahe dem Palais Rohan angesiedelten Haus befand sich, was keinesfalls vergessen werden darf, zudem auch das vom quirlig-chaotischen Wilhelm von Schwarz-Senborn geleitete Organisationsbüro der Wiener Weltausstellung 1873. Verschwunden hingegen sind jene Objekte in der Franzensbrückenstraße, die auf die Gebrüder Klein verweisen. Die Familie betrieb dort nicht nur die ehemalige Zinner’sche Zuckerraffinerie, nein: einige ihrer Mitglieder haben zeitweise offenbar auch in dieser Straße zwischen Donaukanal und Nordbahnhof gewohnt.

Sidonie Nádherny
Gebildet, emanzipiert, bewundert von Rilke, geliebt von Karl Kraus: Albert von Kleins Enkelin Sidonie Nádherny (1885-1950).

So finden wir unter anderem etwa Albert und Franz Klein in der »Franzensbrückengasse 22« (Lehmanns Adressbuch, 1859), wir finden die traurige Nachricht von der 14jährig an einem Lungenödem verstorbenen Gutsbesitzerstochter Leopoldine von Klein, Franzensbrückenstraße 17 (Wiener Zeitung, 1. Jänner 1864), und wir finden den »Hausbesitzer Albert v. Klein«, Franzensbrückenstraße 17 (Neue Freie Presse, 10. Februar 1871). Überdies gab es eine Niederlassung der Klein’schen Zöptauer und Stefanauer Eisenwerke an der Adresse Franzensbrückenstraße 15 (siehe z. B. Allgemeine Bauzeitung, 1871), sowie eben, wie erwähnt, natürlich die Zuckerraffinerie, die man wohl auch mit der 1862 von den Kleins initiierten Gründung einer Zuckerfabrik im südöstlich von Brünn gelegenen Keltschan (Kelcany) in Verbindung bringen kann kann. Franz Klein (1794-1855), der Besitzer des Brünner Palais, war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon verstorben. Albert Klein von Wiesenberg (auch: Wisenberg), sein Bruder, wird ihm 1877 ins Jenseits folgen. In einem nun verwitterten Mausoleum, das der erfolgreiche Unternehmer in Zöptau (Sobotin) anlegen ließ, führt sein Namen die Liste der ehedem dort bestatteten Familienmitglieder an – eine tschechische Website präsentiert sehr düster wirkende Fotos dieser Gruft sowie vom ebenfalls nur mehr als Ruine existenten Werk. Seine berühmte Enkelin, Sidonie Nádherny nämlich, ruht hingegen mehr als 300 km entfernt, im aufwendig renovierten Schloss Janowitz (genauer gesagt: im dazugehörigen Park), dort, wo sie einst logierte, wo ihr enger Freund Rainer Maria Rilke häufig zu Gast war, wo der in sie verliebte Karl Kraus wesentliche Teile von Die letzten Tage der Menschheit verfasste. Nádhernys Briefwechsel mit Rilke, Kraus sowie dem Maler und Übersetzer Albert Bloch wurden bekanntlich in den letzten Jahren veröffentlicht. Ob darin auch Eisenbahnen und Zucker erwähnt werden, lässt sich nur durch Lektüre derselben verifizieren. Man sollte sie endlich beginnen.

gebrüderklein-franzensbrückenstraße-1868
Im Frühjahr 1868 wird verkauft: Das Gebrüder Klein’sche Inserat zur Veräusserung ihrer Leopoldstädter Zuckerraffinerie in der Neuen Freien Presse vom 17. April 1868.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Sanne

    Ich bin wieder einmal begeistert, was Du da alles zusammen-gefunden hast. Wieso steht bei Dir nicht schon längst der Metro-Verlag vor der Türe? Oder bist Du sowieso auf diesem Gebiet tätig? Apropos Bücher: Zuviel Lesestoff und zu wenig Lebenszeit, zumindest mir geht es so.
    Ganz liebe Grüße – S

  2. Eva Maria Mandl

    Danke, liebe Sanne!!!

    Tja, etwaige Publikationspläne… Dazu gäbe es viel zu sagen. Aber in den vergangenen Wochen waren die Prioritäten anders gelagert, da mein Leben von einem Todesfall im engsten Familienkreis überschattet war. Und ja, ich würde mir natürlich ebenfalls mehr Zeit wünschen, um all das zu lesen, was ich mir vorgenommen habe. Abgesehen von den Nádherny’schen Briefwechsel-Ausgaben – ich fände unter anderem auch eine »Biographie« des Nordbahnhofs interessant (vgl. z. B. Peter Ackroyds London-Biographie). Aber die wurde ja noch nicht geschrieben. Vielleicht nimmt sich ja mal jemand dieses Themas an?

  3. SCHWÖDT Hans

    Ich habe herausgefunden, daß die Firma Gebr. Klein um 1877
    Werkstätten und Arbeiterhäuser neben den Wiener Eiswerken am Franz-Josefsland unterhalten haben.

  4. Eva Maria Mandl

    Ah, das ist ein interessanter Hinweis! Danke!

Kommentare sind geschlossen.