Die Kunstsammler in der Pratervilla. Leo und Helene Hecht, Laufbergergasse 12 (1930-1938)

Links: Balthasar Riepp, Salomon und die Königin von Saba. Rechts: Die Villa Hecht, vormals Villa Harnoncourt, in der Laufbergergasse. Die Aufnahme stammt aus 1891.

Der Firmensitz befand sich in der Hinteren Zollamtstraße, im Eckhaus Nr. 9. Es war ein quirliges Viertel, mit den Landstraßer Markthallen, dem nahen Hauptgebäude der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft, dem wuchtigen, vis-a-vis emporragenden Hauptzollamt, der Radetzkyschule auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Unter die unzähligen Jugendlichen, die, ausgerüstet mit Taschen, Lexika und Jausenbroten, fröhlich lärmend diese Gassen bevölkerten, reihte bis zu seiner Matura 1929 auch Bruno Kreisky. Aber er, der in seinem Büro saß und sich mit langen Zahlenkolonnen beschäftigte, mit Einnahmen und Ausgaben, mit Kauf und Verkauf, hatte vermutlich kein Auge für den hoffnungsvollen Nachwuchs. Er war ein viel beschäftigter Mann, ein erfolgreicher Großhändler für Leder und Felle, der zudem seine Aufgabe als Vize-Präsident der Häute- und Felle-Industrie korrekt wahrzunehmen trachtete.

Bis 1930 hatte er in der Weyrgasse 6 gelebt, in einem repräsentativen, den Esteplatz begrenzenden Gründerzeit-Bau. Der Fußweg zu seinem Büro war unaufwändig gewesen, nur zehn Minuten, nicht mehr. Doch auch das neue Heim, das er nun mit seiner Frau bewohnte, war durchaus im näheren Umkreis angesiedelt. Am Rande des Praters gelegen, präsentierte sich die Villa umgeben von sattem Grün, und er musste nur die Franzensbrücke überqueren, um zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen – Leo Hecht (geb. 1880 in Budapest) und seine Gattin Helene (geb. 1892 in Wien) hatten endlich den perfekten Wohnsitz für sich gefunden. Hier würden sie alt werden und ihren Lebensabend ungestört genießen können. Im Garten standen jedenfalls Fauteuils aus orange gefärbten Eisen bereit, um sich an lauen Sommertagen zu entspannen und dem Zwitschern der Vögel zuzuhören.

Das Paar war seit 1913 verheiratet, seit einer Zeremonie im Tempel in der Schmalzhofgasse. Gemeinsam hatte es den Ersten Weltkrieg erlebt, die Ausrufung der Republik, die katastrophale Inflation der 1920er Jahre – kurz: Umbruchzeiten, die das Leben in Wien entscheidend verändert hatten. Wenn die beiden nun aus dem Fenster sahen, blickten sie auf die Baustelle des Franz-Mair-Hofes, eines großzügig angelegten und auch architektonisch ansprechenden Gemeindebaus am Schüttel, der 1932 vollendet werden würde. Und in der direkt an die Villa angrenzenden Akademie der Bildenden Künste waren mit Anton Hanak und danach Albert Bechtold maßgebliche Erneuerer der österreichischen Skulptur tätig.

Ob sich die Hechts wohl für die kreativen Explosionen der benachbarten Bildhauer interessierten? Leo und Helene hatten jedenfalls auch ein Faible für Kunst, wenngleich die Vorlieben anderen Stilen und Epochen galten. Zu den Prunkstücken ihrer Sammlung zählten Salomon und die Königin von Saba von Balthasar Riepp (1703-1764), zwei Werke von Mihály Munkácsy (Bärtiger Mann und Männerporträt), und auch drei Kupferstiche von Lucas van Leyden (1494-1533). In ihrem Haus waren sie von Barockfiguren umgeben, von anatolischen Gebetsteppichen, von Empire-Möbel und von Interieur aus dem Biedermeier. Auch ein Bösendorfer-Flügel stand zur Verfügung. Im Gegensatz zur Systematik anderer Wiener Sammlungen, jener von Jenny Steiner etwa, von Otto Pick oder von Hermann Eissler, war hier alles ein bisschen zusammengewürfelt, aber dies durchaus charmant und, so ist begründet anzunehmen, basierend auf ehrlicher Zuneigung zu den einzelnen Objekten.

Googelt man heute nach Leo Hecht, so findet sich sein Name vorwiegend in Dokumenten, die von der Chronik einer brutalen Enteignung erzählen. So ersucht das Deutsche Historische Museum um nähere Informationen zu Karteikarten, die 1945 von den US-Alliierten angelegt wurden und das oben erwähnte, nach dem Krieg im Salzbergwerk Altaussee aufgefundene Riepp-Gemälde betreffen (»Classification: Paintings. Presumed owner: Leo Hecht. Identifying marks: Linz 2446. Depot possessor: Hitler.«). Und das Joanneum berichtet über die späte Restitution der sich einst in Hechts Eigentum befindlichen Zeichnung Himmelfahrt der Maria Magdalena (österreichisch, um 1770).

Leo und Helene Hecht nämlich, die einst so glücklich in der Laufbergergasse gelebt hatten, waren von den Nazis verfolgt und beraubt worden. Rekonstruiert man die deprimierende Chronologie, so gelang dem verzweifelten Ehepaar die Flucht via Paris und Toronto nach New York. Ihr gesamter Besitz hingegen wanderte in die Hände der neuen Machthaber: Salomon und die Königin von Saba wurden ebenso wie die Werke von Munkácsy und van Leyden für das geplante Linzer »Führermuseum« in spezielle Verwahrung genommen, der Rest gelangte kommentarlos zur Versteigerung. Insgesamt waren es 436 Gegenstände aus der Villa Hecht, die aufgelistet und am 28. und 29. Juni 1940 im Dorotheum angeboten wurden – von einer Barockvitrine über Anton Springers fünfbändiges Handbuch der Kunstgeschichte bis zum Staubsauger.

Die Villa Hecht selbst, ein stolzes Gebäude, das 1886/87 von Graf Felix Harnoncourt errichtet worden war, wurde 1941 an den Schauspieler und Regisseur Hans Schott-Schöbinger verkauft. Gemeinsam mit seiner Ex-Frau Friedl Czepa zählte der Grazer zu den Spitzen der NS-Theaterszene: Schott-Schöbinger leitete in diesen Jahren die Kammerspiele, Czepa das Wiener Stadttheater. (Nach dem Krieg sollte Czepa ihre Karriere übrigens schon bald wieder ungehindert fortsetzen können: die fanatische Nationalsozialistin, von der üble Aussagen bekannt sind, spielte an der Seite von Alfred Böhm, Gertraud Jesserer, Peter Weck und Hilde Sochor die Mutter Leitner in der höchst erfolgreichen ORF-Serie Familie Leitner, der ersten österreichischen Fernseh-Soap. Wie es der ebenfalls an dieser Produktion beteiligten Dorothea Neff, die während der NS-Zeit Heldenhaftes geleistet hatte, damit erging, möchte man sich lieber nicht vorstellen.)

1951, nach einem vierjährigen Verfahren, wurde die Villa Hecht schließlich an ihre rechtmäßigen Besitzer rückgestellt. Andere Restitutionen hingegen, so berichtete Sophie Lillie in ihrem Standardwerk Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, blieben aus, so etwa jene des Riepp-Gemäldes. Das Ehepaar kehrte auch nicht mehr nach Wien zurück. Leo, der sorgsame Kaufmann und begeisterte Kunstsammler, starb im Juli 1964 im New Yorker Exil, seine Frau Helene verschied im Dezember 1968. Ihren einstigen Wohnsitz am Prater kann man nur mehr auf alten Fotos betrachten: Die Villa Hecht, vormals Villa Harnoncourt, wurde abgerissen. An ihrer Stelle befindet sich heute ein Senioren- und Pflegehaus der Caritas, in dessen Räumlichkeiten dankenswerter Weise auch Bilder des ursprünglichen Gebäudes angebracht sind. Weit weniger eindeutig hingegen ist das Schicksal mehrerer Objekte, die sich bis zur erzwungenen Enteignung im Besitz des Ehepaares befanden: Ihr derzeitiger Verbleib ist nach wie vor völlig unbekannt.

LITERATUR
Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens (Czernin Verlag, Wien; 2003)