Exkurs: Chic Parisien, die Familie Bachwitz und Albert Einstein. Löwengasse 47 (1938)

Der Hauptsitz von Chic Parisien in der Löwengasse. Studiert man die Illustration in höherer Auflösung, so wird gut ersichtlich, dass der Name des Verlages auch prominent am Dachfirst angebracht war. (1914)

Wie im Text über Ea von Allesch erwähnt, erinnert nichts mehr an die ursprüngliche Bestimmung des Palais des Beaux Arts in der Löwengasse 47. Dass hier mit der Chic Parisien Bachwitz AG ein auf Modethemen spezialisierter und international tätiger Verlag residierte (daher auch die repräsentativen, auf dem Gebäude thronenden Weltkugeln), dass an diesem Ort etwa 50 Zeitschriften, teilweise in dreisprachigen Ausgaben, produziert wurden – selbst einem Großteil der Anrainer ist dies nicht bekannt. Dass besagtes Haus 1908/09 im Auftrag von Arnold Bachwitz (1854-1930), dem Besitzer von Chic Parisien, erbaut wurde, ebensowenig. Daher folgen nun mehrere Links, die auf das tragische Schicksal der Familie Bachwitz verweisen, auf das Schicksal einer Familie, deren einstiger Hauptsitz nach wie vor das ihn umgebende Viertel (trotz des in der Nähe angesiedelten Hundertwasser-Hauses) auf so bemerkenswerte Weise prägt.

Rosine Bachwitz (geb. 1863), Arnolds Witwe, wurde 1942 im KZ Theresienstadt ermordet. Die israelische Holocaust-Gedenkstelle Yad Vashem hat ein ihr gewidmetes Gedenkblatt online gestellt: Gedenkblatt Rosine Bachwitz

Alice Strel, Pianistin und Tochter von Arnold und Rosine Bachwitz, verstarb 1942 unter unbekannten Umständen während eines von Prag abgehenden Todestransports. Auch für sie existiert ein Gedenkblatt: Gedenkblatt Alice Strel, geb. Bachwitz

Grete Lebach, die zweite Tochter von Arnold und Rosine Bachwitz, lebte mit ihrem Mann Willy in Berlin, war sehr eng mit Albert Einstein befreundet, bzw. laut vielen Quellen auch liiert, und starb am 17. August 1938 in Wien an Krebs – hilflos und auf unwürdige Weise. Ein Brief von Einstein an Grete, verfasst 1930, ist als Digitalisat online verfügbar.

Grete Lebach, geb. Bachwitz, und Albert Einstein in Huntington, Long Island (1937). Foto: Lotte Jacobi Collection; Leo Baeck Institute.

Theodore Gottlieb (geb. 1906 in Düsseldorf), Gretes Sohn aus erster Ehe mit dem Verleger Emil Gottlieb, war in Dachau interniert, musste das Unternehmen seines Vaters um 1 Reichsmark an die Nazis verkaufen, emigrierte in die Schweiz, wurde von dort nach Österreich ausgewiesen und entkam danach mit der Hilfe von Albert Einstein in die USA. Dort machte er Karriere als Brother Theodore, mit regelmäßigen und sehr düster-anarchistisch gefärbten Auftritten in den Shows von Johnny Carson, David Letterman und Billy Crystal – ein beeindruckender Geistesverwandter von Lenny Bruce und Andy Kaufman also. Der Enkel von Arnold und Rosine Bachwitz starb 2001 in New York (Nachruf in der New York Times).

Regelmäßig zu Gast in der David Letterman Show: Theodore Gottlieb alias Brother Theodore, der Enkel von Arnold und Rosine Bachwitz.

Ein 2003 veröffentlichter Restitutionsbericht  enthält nicht nur einige Informationen über die von Chic Parisien publizierten Magazine, sondern auch über die 1938 durchgeführte Arisierung des Unternehmens. Wie hier ab Seite 15  ersichtlich, wurde etwa sofort nach dem »Anschluss« der gesamte Verwaltungsrat, dem auch Rosine Bachwitz, Alice Strel und Willy Lebach angehörten, ausgewechselt:

Vierter Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (pdf)

Dieser Austausch ist in den Wiener Adressbüchern dokumentiert:

Chic Parisien Bachwitz AG in Lehmanns Adressbuch 1938
Chic Parisien Bachwitz AG in Lehmanns Adressbuch 1939

Mit der Arisierung von Chic Parisien setzte sich 2003 auch Ursula Schwarz auseinander. Ihre Diplomarbeit ermöglicht ab Seite 125 einen detaillierten Einblick in das Schicksal des Verlags zwischen 1938 und 1958:

Das Wiener Verlagswesen der Nachkriegszeit: Eine Untersuchung der Rolle der öffentlichen Verwalter bei der Entnazifizierung und bei der Rückstellung arisierter Verlage und Buchhandlungen (pdf)

Weiterführende Informationen zu Arnold Bachwitz und der Wiener Modeszene findet man in: Gerda Buxbaum, Mode aus Wien 1815-1938 (Residenzverlag, 1986). Abschließend soll mit einem wunderbaren, vom Atelier Bachwitz angefertigten Modeblatt an die Familie erinnert werden – es entstand 1922 in der Löwengasse 47:

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Komm. R. Anton Bucek

    Bin auf Chic Parisienne und den Namen der Familie Bachwitz nach Lektüre des Buches von Georg Gaugusch (Amaltheaverlag) gestoßen. Das Haus interessiert und fasziniert mich schon seit 1984 als ich einmal eine Werbefilm Firma dort aufsuchte. Es wäre zweifellos im Interesse von Wien und dem 3. Bezirk wenn im Palais Beaux Art auf die glanzvolle internationale Vergangenheit und Bedeutung in Form von Information hingewiesen werden würde. Es ist ja jammerschade, daß der Nachkriegsgenerationen über die Zeit vor 1938 bis zurück 1848 (Revolution) über die wirtschaftliche Bedeutung Österreichs und der maßgeblichen Unternehmerpersönlichkeiten das Wissen vorenthalten wurde und wird!

    KR A. Bucek

  2. Eva Maria

    Ja, Sie haben Recht. Die Namen jener Familien, die bestimmend waren für die Gründerzeit und die Jahre danach bis 1938, sind im kollektiven Gedächtnis Österreichs nicht mehr verankert. Man sah das ja zuletzt, als Edmund de Waals Buch über die Ephrussis in deutscher Übersetzung erschien und man in Wien erstmals vom Schicksal dieser Familie erfuhr, die doch einst am Schottentor gelebt hatte. Auch Alexander Waughs Biographie der Wittgensteins wurde ursprünglich im angelsächsischen Raum publiziert! Ausserdem habe ich das – zugegeben: subjektive – Gefühl, von österreichischer Wirtschaftsgeschichte häufiger in internationalen Zeitungen zu lesen als in heimischen Medien. Ich sehe hier jedenfalls auch einen großen Aufholbedarf!

  3. Lizl Stein

    bin am Recherchieren für unseren neuen Krimi und hocherfreut über Ihren Blog!
    lg Lizl Stein siehe „Der Posamentenhändler“

  4. Eva Maria

    Das ist fein. Und Gratulation zum sehr verdienten Leo Perutz-Preis.

  5. Nigel Backwith

    My name is Nigel Backwith. I was born Nigel Bachwitz. Grete Bachwitz was a distant relative. My grandmother spent time with Grete and Albert and told us a little about Chic Parisienne, when were were children.

    There are quite a few of the Bachwitz family spread around the world. Some practicing Jews but many no longer of the faith and a few survivors of WW II, who hid out in Holland, escaped to USA via Ellis Island etc.

    Nigel

  6. Margarete Stickler

    Meine Mutter (1906-1995) war als blutjunges Mädchen bei Bachwitz als Koloristin, Schablonenschneiderin, Farbabstellerin (so hieß das offenbar in der Hierarchie) tätig, offenbar bis Kriegsbeginn, und hat mir viel über die Firma erzählt. Ich habe auch einige Fotos aus der Firma von damals. Leider war ich, wie mir meine Mutter darüber erzählte, noch ein Kind und bringe in der Erinnerung wohl einiges durcheinander. Meine Mutter hatte mir damals auch das Haus gezeigt, und ich habe selbst in den letzten Jahren öfter daran gedacht, nachzuforschen, was aus der Familie Bachwitz geworden ist (bin Fremdenführerin), da ich bis vor wenigen Jahren auch unter Google keinen Hinweis darauf gefunden habe. Meine Mutter sprach immer mit großer Begeisterung und Dankbarkeit von ihrer Zeit bei Bachwitz und auch darüber, wie es „nachher“ mit der Firma bergab gegangen sei. Chic Parisienne war laut den Erzählungen meiner Mutter „der bedeutendste Modeverlag von Wien“, und umso mehr war ich verwundert, nirgends darüber etwas zu lesen. Ich dachte schon, meine Mutter hätte in der Verklärung ihrer Jugend etwas übertrieben. Das Schicksal der Familie Bachwitz, die, wie ich von meiner Mutter hörte, auch ein wichtiger Arbeitgeber für Frauen in der Zwischenkriegszeit war, berührt mich tief.
    Margarete Stickler

  7. Nigel Backwith

    Hallo Margarete, war ich sehr daran interessiert, Ihre Blog-Post zu lesen. Vielen Dank für das Schreiben. Arnold und Rosine Bachwitz waren meine zweite große Onkel und Tante. Mein Großvater war Leopold Bauchwitz. Er war Arnold Bruder. Mein Vater war benannt nach Arnold.

  8. Eva Maria Mandl

    @ Nigel, vielen Dank für Ihre Erzählungen über Ihre Familie. Ich habe vor kurzem auch ein Foto von Arnold Bachwitz in einer Wiener Wochenzeitung (“Wiener Bilder”) gefunden. Es wurde anlässlich seines 75. Geburtstages im Jahr 1929 aufgenommen, bei einer Feier im “Zeiserlclub”, dem er angehörte. Arnold Bachwitz ist in der Mitte des Bildes zu sehen:

    http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrb&datum=19290609&seite=15&zoom=15

    @ Margarete, danke für Ihren sehr interessanten und berührenden Kommentar!

  9. Julie Long Gallegos

    I am so delighted to have found out more information about Atelier Bachwitz, but so deeply saddened to read of the Bachwitz family’s fate during the Holocaust.
    I first became aware of Atelier Bachwitz in a book of 1920s fashion illustrations – Atelier Bachwitz has become my favorite fashion house of that era. What a distinguished family.
    Thank you very much.
    Julie

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