Modefotografie de luxe: Edith Glogau, Schüttelstraße 73 (ca. 1909-1938)

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Coolness im Polodress: Edith Glogaus Portrait von Dolfine Auersperg, publiziert 1931 in der Modernen Welt.

Sie ist ein Praterkind. Die renommierte Modefotografin mag zwar ihr Atelier im mondänen Gebäude Singerstraße Nr. 8 führen – ihren Wohnsitz hat Edith Glogau (geb. 1898) seit ihrem etwa 11. Lebensjahr in einem völlig anderen Ambiente: am Donaukanal, gleich bei der Jesuitenwiese, und nahe dem Wurstelprater. Dort ist sie umzingelt vom Delikatessengeschäft Jeschaunig und vom Friseur Freyler, von den Drogisten Tomschik und Hörrey, von der Wäscherei Senzer, dem Obsthändler Ozabal, dem Tapezierer Rosenberg und der Miederwarenhändlerin Lola Lederer. In ihrem Wohnhaus, einem schönen Gründerzeitbau an der Ecke Schüttelstraße 73 und Paffrathgasse, befinden sich neben dem eigenen Refugium (1. Stock, Türnummer 13) und jenem ihrer Schwester Olga – sie ist mit dem Anwalt Michael Munkacsy verheiratet – auch die Räumlichkeiten der Patent-Betteinlagen »Großartig«, um deren Verkauf sich die Firma Kovacs & Wertheimer so rührig bemüht. Und nähert sich Edith Glogau der Rotundenbrücke, dann passiert sie zudem die Cafés Schüttelhof und Sidon.

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Intellektuellen-Portrait und Aktfotografie: 1931 vertieft sich Die Bühne analytisch in Edith Glogaus Werk. Der kurze Artikel kann online auf anno abgerufen werden.

Das Viertel am Prater ist ihre Heimat – hier wohnte sie, deren Vater viel zu früh verstorben war, schon, als sie ihre Schulzeit an der k.k. Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt begann, damals, im Jahr 1913. Dieser Ausbildung folgt eine Lehrzeit bei der einflussreichen Madame d’Ora (Dora Kallmus), der mutige Schritt in die Selbstständigkeit (1925), die Vermählung mit dem Fotografen Hans Strenitz (1929). Es sind Jahre, die geprägt sind von unzähligen Fotosessions, in deren Rahmen Capes (z. B. hier), Hüte (z.B. hier), Schals (z. B. hier) und Abendkleider elegant ins Bild gerückt werden.
Glogau macht Karriere, rasch und steil, eine Karriere, die überdies befeuert wird durch sensible Porträtstudien bekannter Schauspielerinnen (Luise Rainer etwa, oder Frauke Lauterbach) und liebevoll arrangierte Aufnahmen von Kindern des Wiener Bürgertums (auch Helmi Rasper, dessen Familie eine Villa in der Böcklinstraße bewohnt, befindet sich unter ihnen). Und dann wäre da auch noch die Aktfotografie, der sich die Fotografin aus dem Pratercottage ebenso widmet wie etwa ihre Kolleginnen Edith Barakovich und Trude Fleischmann. Diese stolzen Inszenierungen nackter weiblicher Körper findet man unter anderem in den über viele Jahre publizierten Inseraten zu »Waldheims Entfettungs-Tee« – es sind Sujets, die damals etliche österreichische Lifestyle-Zeitschriften füllten, auch die Moderne Welt (Verlag Chic Parisien Bachwitz), die in unmittelbarer Nähe, auf der anderen Seite des Donaukanals, im Palais des Beaux Arts (Löwengasse 47) produziert und von Glogau regelmäßig mit Fotos versorgt wird.

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März 1933: Edith Glogaus Portrait von Hedy Kiesler (Lamarr), abgedruckt in der Bühne kurz nach der sensationellen Premiere von Ekstase.

Im März 1933 schließlich sieht Edith Glogau eines jener Fotos, das sie von Hedy Kiesler, der jungen, in der Wiener Society bestens bekannten Bankierstochter, angefertigt hatte, auf Seite 41 des Kultur- und Gesellschaftsblattes Die Bühne. Es ist als Ironie zu verbuchen, dass Kiesler ausgerechnet in diesem eher nicht puritanischen Medium bekleidet abgebildet wird, erscheint das Portrait doch kurz nach der Wiener Premiere ihres skandalumwitterten Films Ekstase – 71.000 heimische Zuseher hatten sich an dem freizügigen Zelluloiddrama in den ersten beiden Wochen erfreut, verkündete am 4. März 1933 jubelnd eine Annonce in der Österreichischen Film-Zeitung. Für Kiesler (später: Lamarr) entpuppt sich Gustav Machatys Spielfilm schließlich als Sprungbrett nach Hollywood; erst musste allerdings noch der Waffenfabrikant Fritz Mandl geheiratet (im August 1933), als Anhängsel begleitet (siehe etwa den Opernball 1935 – angesichts der Besucher, von den austrofaschistischen Ständestaat-Proponenten Starhemberg und Fey über Alphonse Rothschild bis zum Tenor Richard Tauber, eher als Tanz auf dem Vulkan zu werten) und wieder verlassen werden (im Jahr 1937). In Edith Glogaus Biographie hingegen nimmt dieses spezielle Foto von Hedy Lamarr eine andere, dunklere Rolle ein. Jahre später nämlich sollte es noch einmal in der Bühne publiziert werden: Im Dezember 1937 ist es prominent im Anfangsbereich der Zeitschrift abgedruckt, spiegelverkehrt allerdings und als Teil eines Inserates der Österreichischen Tabakregie, die ihre Produkte als Weihnachtsgeschenke anpreist; das Logo der Fotografin ist selbstverständlich, wie in jener Zeit üblich, gut sichtbar platziert.

Das Wohnhaus Schüttelstrasse 73
Edith Glogaus langjährige Wohnstätte: das Eckhaus Schüttelstraße 73/Paffrathgasse.

Nichts, absolut gar nichts deutet auf diesen Seiten auf die drohende Katastrophe hin. Doch tatsächlich sind es die letzten Wintertage, die Edith Glogau in der Schüttelstraße 73 verbringt, in diesem Haus, das sie über Jahrzehnte bewohnt hatte: 1938 verlässt die gefeierte Fotografin, deren Arbeiten die Modewelt der Ersten Republik mitgeprägt hatten, Wien, den Prater, das Viertel am Donaukanal. Edith Glogau flüchtet via Brünn sowie New York nach Washington und eröffnet schließlich 1946 an der Adresse 1803 Connecticut Avenue erneut ein eigenes Studio. Sie wird 1970 in der US-Hauptstadt versterben, fünf Jahre nach Hans Strenitz, ihrem Mann, und neben ihm am Oak Hill Cemetery begraben werden. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich in den Erdgeschoss-Räumlichkeiten ihres ehemaligen Wohnhauses in der Schüttelstraße ein Bastelgeschäft. Es wurde von den Kindern der Umgebung begeistert frequentiert, auch von Mädchen, die davon träumten, einmal große Künstlerinnen zu werden. Von dem Mädchen, das einst hier lebte und eine berühmte Fotografin wurde, wussten sie nichts.

LITERATUR
Iris Meder, Andrea Winklbauer (Hrsg.), Vienna’s Shooting Girls. Jüdische Fotografinnen aus Wien (Jüdisches Museum Wien, Metroverlag. Wien, 2012)

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Sanne

    Hallo, bin auf Umwegen über die Währinger Cottage auf Deinen Blog gestoßen. Tolle Themen und Beiträge! Gratulation.
    Beste Grüße – Sanne

  2. Eva Maria Mandl

    Thx :)

    Ich finde Deinen Blog ebenfalls fein. Bin übrigens auch ein Fan von Hilary Mantel!

  3. alexander schatek

    Liebe Frau Mandl!

    Zu lange war ich nicht zu Besuch im Pratercottage. Sei´s real, sei´s virtuell: Heute bin ich am Glogau-Beitrag hängengeblieben. ein mir unbekanntes Bild von der „schönsten Frau des Films“. Irre cool für damals. Hätte vermutlich „mondän“ geheißen. Immer wieder ist´s genussvoll, mit Ihren Texten in die stimmungsgetragene Tiefe der Vergangenheit eines Areals einzudringen: viel mehr als dürre Daten und seelenlose Bilder, über die Topographie weit hinausreichend, diese als Ausgangspunkt nutzend, ein vielfältiges Gedanken-, Gefühls-, Kulturbild aufspannend. Manche Aspekte Ihrer Beiträge gehören zu den Berührendsten, die ich in der Auseinandersetzung mit der Region lesen konnte. Das hängt mit Ihrer Recherchetiefe zusammen, aber naturgemäß auch mit der Tatsache, dass Ihr Themengebiet eben meine Heimat ist, deren Vergangenheit mich schon als Kind fasziniert und interessiert hat. Bei einer Geschichte vom Laaerberg werde ich „interessant“ sagen, bei einer Geschichte aus der Böcklinstraße vielleicht auch weinen können. Lokale Mikroaspekte, die von einer nicht lokal basierten Forschung vermutlich gar nicht erfasst werden würden. Ich hoffe, Sie haben weiterhin Freude an der Arbeit und beschenken uns mit Neuem.
    Mit lieben Grüßen,
    Alexander Schatek
    ps.: Ein sehr regionsbezogener Autor, dessen Herz am Prater hing und der auch einige Aspekte zum Pratercottage hat (Hauseinsturz am Schüttel) ist Adelbert Muhr. Mehr Feuilletonist als hochliterarischer Romancier und, vor allem, ernstgemeinte Texte: Sein Praterbuch war ihm ein Anliegen, und das macht´s authentisch und liebenswert. Leider kann man viel zu wenig zitieren, die Wegelagerer der VWGs lauern hinter jedem Mausklick …

  4. Eva Maria Mandl

    Danke für Ihre netten Worte und den Verweis auf Adelbert Muhr! Wie ich sehe, wohnte er u. a. auch an der Erdberger Lände 54. Ich habe online einen Brief von ihm gefunden, in welchem er seine Unterstützung für den Pazifismus unterstreicht und Zweig sowie Schnitzler erwähnt: -> Link.

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