Albert von Rothschilds Atelierchef: Hermann Clemens Kosel, Böcklinstraße 45 und 47 (ca. 1913-1945)

Palais Albert von Rothschild-Gartenfassade
Blick in den Garten: Das 1884 fertiggestellte Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße 20-22. Hier befand sich auch das Atelier des begeisterten Hobbyfotografen Albert von Rothschild.

Selbstverständlich kennt man ihn als sehr erfolgreichen Porträtfotografen, als einen Mann, der Angehörige des habsburgischen Kaiserhauses ebenso ablichtete wie Mitglieder des jüdischen Wiener (und Pariser) Großbürgertums, Marie Cecilie von Fould-Springer etwa (siehe Foto). Manche wissen auch Bescheid über seine schriftstellerische Tätigkeit, über Künstlerromane, die das Multitalent unter anderem zu Dürer, Waldmüller oder Élisabeth Vigée Le Brun verfasste. Und all jene, die sich mit Plakatkunst beschäftigen, sind natürlich bestens informiert über das für die österreichische Werbegrafik der Zwischenkriegszeit so bedeutende Werk seines gleichnamigen Sohnes.

AlbertvonRothschild
Einflussreicher Bankier und Mäzen: Albert von Rothschild.

Wo aber startete Hermann Clemens Kosel seine durchaus beeindruckende Karriere? Nein, es war kein dunkler Hinterhof-Schuppen, der dem jungen, 1867 im böhmischen Dunkelthal geborenen Mann als Sprungbrett nach oben diente, sondern ein prachtvolles Neorenaissance-Palais, das sich entlang der noblen Wiener Prinz-Eugen-Straße (damals: Heugasse) erstreckte. In diesem Palais residierte Albert von Rothschild, Bankier (S. M. von Rothschild, Creditanstalt), Großindustrieller und Mäzen, eine vielseitig interessierte Persönlichkeit mit ausgeprägtem Faible für Astronomie, Schach – und die Fotografie.

Rothschild, der in seinem Palais ein eigenes Atelier einrichtete, engagierte Kosel 1891 als Mitarbeiter, eine Anstellung, die möglicherweise auf Empfehlung von Josef Maria Eder erfolgte, dem international renommierten Fotochemiker und Direktor der k.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren (heute: Graphische Lehr- und Versuchsanstalt) – Kosel hatte dort eben seine Ausbildung abgeschlossen. In den kommenden Jahren, bis 1905, wird er in der Prinz-Eugen-Straße 20-22 arbeiten, Erfahrungen sammeln, Kontakte knüpfen.

Generalstadtplan 1904-Palais Albert Rothschild
Der Wiener Generalstadtplan 1904 mit dem Palais Albert von Rothschild. Lehmanns Adressbuch führt Hermann Clemens Kosel bis zu seiner Übersiedlung ins Pratercottage mit den Wohnadressen Heugasse 18A sowie Heugasse 18 (Prinz- Eugen-Straße 16 bzw. 14) an. (Link zur Vollversion.)

Im Juli 1896 nun veröffentlicht die Wiener Fachpublikation Photographische Correspondenz eine Szene aus dem Ballett Rund um Wien, angefertigt von Albert von Rothschild, der nach dem frühen Tod seiner klugen, liberalen Gattin Bettina (1858–1892) Witwer und Vater von sechs Halbwaisen ist (Louis, das spätere Oberhaupt der österreichischen Rothschilds, war 1882 geboren worden). Wir sehen eine Halskette, die zum Auslöser von Eitelkeit, Hybris und Gefallsucht wird, »Schutzengel und Dämon ringen um das Schicksal des hübschen Kindes«, erklärt einige Seiten danach ein ungenannter Autor.

Mehrere Jahrzehnte später hatte sich ein sehr viel gefährlicher Dämon als jener, dessen alarmierende Verführungskraft den klarsichtigen Albert von Rothschild (1844-1911) zu einer Fotografie inspiriert hatte, auf beklemmend reale Weise in den Wiener Straßen festgekrallt. Hermann Clemens Kosel, der 1905 ein eigenes, ungemein erfolgreiches Atelier eröffnete, der 1911 zum k.k. Hof-Photographen ernannt wurde, der seit ca. 1913 in der Böcklinstraße wohnte (Villa Nr. 471, ab 1919 Villa Nr. 452) und der sich in der Zwischenkriegszeit vorwiegend belletristisch betätigte, er musste den krachenden Zusammenbruch seiner Welt erleben. Der 70jährige Mann wurde nach dem »Anschluss« von den Nazis mit Arbeitsverbot belegt, sein Sohn Hermann emigrierte in die Schweiz, sein einstiger Arbeitsplatz, das Palais Rothschild, war nun von seinem »Nachbarn« Adolf Eichmann, der einige Häuser weiter wohnte, und der »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« okkupiert. Kosel, der auch erleben musste, wie rund um ihn Freunde und Bekannte verschwanden, verblieb während der Kriegsjahre in der Pratercottage-Villa. Er starb am 14. September 1945.

Albert von Rothschild-Rund um Wien-1896
Albert von Rothschild: Szene aus dem Ballett Rund um Wien. In: Photographische Correspondenz (1896). Online auf Anno.

1 Lehmanns Adressbuch 1913 online
2 Meldeunterlagen der Stadt Wien