Exkurs: Ein Spaziergang im Währinger und Döblinger Cottage

Cottage-Sanatorium

Am 21. Jänner 1919 wurden die österreichischen Tageszeitungen von den Ergebnissen der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung (19. Jänner 1919) dominiert, den ersten reichsweiten Wahlen nach der Novemberrevolution 1918. An diesem Tag quartierte sich Bianca Blum-Gentilomo im Cottage-Sanatorium, Sternwartestraße 74, 1180 Wien ein. Dort wird sie die nächsten Wochen verbringen und am 16. März wieder in die Böcklinstraße zurück kehren. Warum Blum-Gentilomo die noble Krankenanstalt aufsuchte, ist nicht bekannt.

Kürzlich spazierte ich, mit einem Buch in der Hand, durch das Währinger und Döblinger Cottage, stand plötzlich vor dem einstigen Sanatorium und war sofort gefesselt. Ausgerechnet hier, fernab der Wiener Innenstadt, lässt sich also eine fast rührende Bekundung der Freundschaft zwischen dem stolzen Serbien und dem mächtigen Russland entdecken: An dem imposanten Eckgebäude, das seit den 1950er Jahren in russischem Besitz ist, nämlich prangt neben dem eleganten Eingangsbereich eine bemerkenswerte Gedenktafel. Sie erinnert an Laza Kostić: Der Schriftsteller, Poet und Shakespeare-Übersetzer, der zudem als nationalistischer serbischer Politiker in die Balkan-Geschichte einging, war 1910, als Patient des Cottage-Sanatoriums, in diesem Haus verstorben. (Auch der kränkelnde Prinz Mirko von Montenegro hatte sich hier übrigens während des 1. Weltkriegs kurz einquartiert, woran allerdings keine Tafel erinnert. Der Prinz verschied schließlich 1918 im Sanatorium Löw in der Wiener Mariannengasse.)

Cover: Werner Rosenberger - Im Cottage

Das 1908 eröffnete Cottage-Sanatorium mit seinen Patienten, die aus Baku kamen, aus Tiflis und auch aus New York, diese weit über die k.u.k.-Grenzen hinaus bekannte medizinische Institution, die mit Annehmlichkeiten wie einem Musikzimmer und zwei Wintergärten ausgestattet war und wo, so Karl Kraus spöttelnd, »man einmal dem Stubenmädchen läutet, zweimal dem Arzt und erst beim dritten Mal der Universitätsprofessor erscheint, um nachzusehen, um wie viel Kilo, Prozente oder Kapital der Herr von Nr. 213 abgenommen hat« (Die Fackel, 1911) – ihm widmet der bekannte österreichische Kulturjournalist Werner Rosenberger (Kurier) in seinem feinen Buch Im Cottage (Metroverlag, 2014) ein aufschlussreiches Kapitel. Rosenberger schildert darin die turbulente Lebensgeschichte des Wieners Rudolf von Slatin, besser bekannt als Slatin Pascha, der 1932 im Cottage-Sanatorium verstarb. Schon damals, als Slatin, wie Bianca Blum-Gentilomo, Sigmund Freud oder eben auch Laza Kostić vor ihm, in der berühmten Krankenanstalt weilte, präsentierte sich die Sternwartestraße vermutlich mit »einem Resthauch von Biedermeierruhe«, wie Rosenberger das heutige Cottage in Währing und Döbling so trefflich umschreibt.

Im Cottage, jenes Buch, mit dem ich vor dem ehemaligen Sanatorium stand, ist also etwas Besonderes, auch, weil sich sein Autor, was sich in einem eigenen Kapitel manifestiert, als architekturhistorisch höchst bewandert erweist (Loos! Oerley! Gessner! Marmorek!). Rosenberger umkurvt zudem auf elegante Weise altbekannte, mittlerweile ausgetretene Pfade, betritt Neuland, interessiert sich für die zu Unrecht Vergessenen. Er erzählt vom Wüstenforscher Alfons Gabriel, vom Heilmagnetiseur Valentin Zeileis, von Theodor Scheimpflug, dem »Vater des Fliegenauges«. In vielen seiner Texte finden sich Abzweigungen, skizziert mit leichter Hand: Sie gleichen jenen überraschend interessanten Seitengassen, die eben auch die Spaziergänge im Cottage, in der Weimarer Straße etwa, oder in der Hasenauerstraße, so außergewöhnlich machen.

Cottage-Sanatorium: Gedenktafel Laza Kostic
Gedenktafel für Laza Kostić am ehemaligen Cottage-Sanatorium in der Sternwartestraße.