Charity-Veranstaltung zu Gunsten des Roten Halbmondes. WAC-Platz, 4. Juli 1915

Die Ehrenloge: Angelo Eisner von Eisenhof (links), Dietrich von Bethmann-Hollweg (3.v.l), Slatin Pascha (4.v.l.), Eduard von Liechtenstein (vorne rechts).

Es wurde als Ereignis angekündigt, dieses Fußballspiel, das am Sonntag, den 4. Juli 1915, um 17.00 Uhr auf der Anlage des WAC in der Rustenschacherallee stattfinden sollte. »Nachdem unsere Vereine für die österreichische, ungarische und deutsche Kriegsfürsorge namhafte Summen hereingebracht haben, stellt sich nun der Sport auch in den Dienst unseres dritten tapferen Verbündeten.« erklärte die Neue Freie Presse und hoffte – schließlich sollte die »erste Gesellschaft« erscheinen – auf beträchtliche Einnahmen zu Gunsten des türkischen Roten Halbmondes. Am Platz standen sich mit WAC und WAF (Wiener Associationfootball-Club) die beiden damals erstplatzierten Mannschaften der laufenden Meisterschaft gegenüber. Und selbstverständlich gab es ein Rahmenprogramm, das um 15.00 Uhr begann.

Die »tapferen Verbündeten« teilten sich, paritätisch aufgedröselt, auch die Ehrentribüne. So war das Osmanische Reich mit den hochrangigen Attachés Essad Bey und Fuad Bey am WAC-Platz vertreten. Sie fehlen leider auf obiger Aufnahme, die wohl während einer Pause entstand und die wichtigsten Proponenten aus Österreich und Deutschland zeigt. Interessant: Nur der gelassen seine Papiere (das Programm?) studierende Eduard von Liechtenstein, seines Zeichens Präsident des Roten Halbmondes, scheint sich des Fotografen nicht bewusst zu sein. Der Rest der anwesenden Herren hingegen sehr wohl.

Slatin Pascha, eigentlich: Rudolf von Slatin, ist hier in seinem neuen Job als Leiter der Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen Roten Kreuzes zu sehen. Über das abenteuerliche, durchaus diskussionswürdige Leben des mit einem mächtigen Schnauzbart geschmückten Mannes wurden mittlerweile zahlreiche Bücher verfasst sowie zuletzt auch eine interessante Doku gedreht: Ab 1874 hatte der Wiener im arabischen Raum gelebt (und gekämpft), wo er, einerseits, als dessen Sklave das Vertrauen des sudanesischen Kalifen Abdallahi ibn Muhammad errungen, und, andererseits, an der Seite der Briten zahlreiche Schlachten gegen die Mahdisten geführt hatte. Es war unter anderem sein Buch Feuer und Schwert im Sudan (online lesen) gewesen, das die Strategen in London zu den Militäraktionen bewogen hatte. Bis 1914 agierte der einst von Abbas II. Hilmi, dem osmanischen Khediven in Kairo, zum Pascha ernannte Slatin als britischer Generalinspektor im Sudan.

Dietrich von Bethmann Hollweg war unter allen Anwesenden der wahrscheinlich historisch Bedeutendste – leider. An der Botschaft in Wien als Legationsrat beschäftigt, spielte der intellektuell alles andere als schwergewichtige Cousin des deutschen Kanzlers eine wesentliche Rolle während der Julikrise 1914. »Dieser närrische Rechenmeister (Anm.: Alexander von Hoyos, der Kabinettchef von Außenminister Berchtold) und der Romantiker Dietrich Bethmann sind in ihrer unheimlichen Verbrüderung in der Tat die treibenden Kräfte des Kriegsausbruchs gewesen«, behauptete auch der pazifistische Publizist Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch.

Angelo Eisner von Eisenhof war, für seine Zeitgenossen wohl wenig überraschend, ebenfalls in den Prater geeilt. Die stadtbekannte Betriebsnudel mit ausgeprägtem Hang zum Namedropping wurde von Karl Kraus seit 1899 (Die Fackel, Heft 3) häufig erwähnt – auf satirische Weise, natürlich. Auch in Die letzten Tage der Menschheit taucht der vermögende, sich gerne auf Wohltätigkeitsveranstaltungen tummelnde Baron mehrfach auf:

»Er war mein Freund. Ich bin ihm nahegestanden. Zum Beispiel bei der Eröffnung der Adriaausstellung.«

lässt Kraus ihn sagen. Oder auch:

»Ich muß mich vor meinem Freunde Lobkowitz schämen, der grad herüberschaut. (Er grüßt öfter und winkt.) Aha, er hat mich bemerkt, aber nicht erkannt.«

Eisners Charity-Aktivitäten werden von Kraus überdies spöttisch hinterfragt:

»Wissen Sie, die Wohltätigkeit, das ist auch so ein Kapitel. Uje, da könnt ich der Fackel Stoff geben – wenn man sich mit dem Menschen einlassen könnte heißt das. Wissen Sie, Hofrat, nur opfern und nichts wie opfern und gar keinen Dank? Mein Gott ja, ich entziehe mich natürlich nicht – meine Freunde Harrach, Schönborn und die andern geben ihre Feste, sie schicken mir ihre Karten – erst gestern hat mich der Pipsi Starhemberg, Sie wissen doch, der was sich mit der Maritschl Wurmbrand –«

Allerdings hatte der zur Arroganz neigende Eisner – sein titelgetränkter Eintrag in Lehmanns Adressbuch 1915 ist nicht unamüsant – auch gewisse Meriten: Er war, im Gegensatz zu manchen seiner heute tätigen Pendants, ein umfassend gebildeter Mann, der unter anderem mit dem einflussreichen Ökonomen Joseph Schumpeter korrespondierte, Abhandlungen über Musik schrieb und Kunst sammelte.

Und das Fußballspiel? Ach ja, es endete 3:3.