Was vom Tage übrig blieb. Villa Putz, Sportklubstraße 8 (1933)

Im Gefolge von »Zeitgeist« und »Angst« bürgert sich im angelsächsischen Raum nun offenbar ein weiteres deutsches Lehnwort ein: »Ruinenlust«. Man findet es gelegentlich in Kunstzeitschriften und dort vorwiegend in Texten, die sich mit der derzeit geradezu spengleresken Faszination an Niedergang und Verfall auseinandersetzen. Paradebeispiel dafür ist die intensive Beschäftigung mit Detroit, dessen verlassene, schaurig-schöne Gebäude die Phantasie offenbar auf exzeptionelle Weise zu entzünden vermögen (siehe dazu etwa Julien Temples hervorragende Doku für die BBC). Auch auf der Plattform Pinterest entdeckt man unzählige Boards, die mit »Ruins« (Ruinen), »Decay« (Verfall) oder »Abandoned« (Verlassen) betitelt sind und eifrig mit Fotos befüllt werden.

Das vor sich hindämmernde Haus in der Sportklubstraße 8 reiht sich hier wunderbar ein. Vor einigen Jahren konnte man noch einen Zettel sehen, der an einem Baum nahe dem Gartentor (und neben dem Eingang zum nun der Angewandten als Expositur dienenden Wotruba-Atelier) befestigt war. Das Anwesen sei unverkäuflich, jegliche Fragen dazu wären zwecklos, war darauf sinngemäß zu lesen. Damals befand sich das verlassene Gebäude im Besitz eines Mannes, dessen Name auf eine bekannte österreichische Industriellenfamilie aus dem Textilbereich verweist. Diesen Zettel gibt es wahrscheinlich noch immer, doch der Garten ist mittlerweile zu verwachsen, um seiner ansichtig zu werden. Wir stehen nun vor einem einzigartigen Biotop, das überdies sorgsam geschützt wird, ist doch das erwähnte Tor mit mehreren Eisenketten zusätzlich gesichert. In gewisser Weise lässt sich diese Entwicklung auch als ironische Volte der Geschichte betrachten: ausgerechnet dieses nun fast hermetisch verschlossene Anwesen stand in den 1970er Jahren als häufig von Prominenten besuchte Sauna im Grünen jedermann offen und war nicht nur Anrainern wie meiner Mutter ein Begriff (»Telly Savalas – oder doch Yul Brynner? – wurde dort angeblich auch mal gesehen!«), sondern selbst deutschen Klatschjournalisten – es war in der Tat, man muss es betonen, eine glänzende Zeit für das Haus in der Sportklubstraße. Als ein renommierter österreichischer Zeitungsherausgeber das Gebäude viele Jahre später kurzfristig erwarb – er, dem das Pratercottage alles andere als fremd ist, war der Vorgänger des Mannes aus der Industriellenfamilie –, mögen für diesen Kauf daher vielleicht auch sentimentale Gründe eine Rolle gespielt haben.

Nun, da die Natur verlorenes Terrain zurückerobert hat, erinnert nichts mehr an die einst so florierende Sauna im Grünen und ihre teils illustren Gäste. Aus dem Schatten der Vergangenheit hingegen taucht ein ganz besonderes Dokument auf: ein s/w-Foto, das ca. 1933 angefertigt wurde. Es zeigt einen Teil der Terrasse sowie den sehr gepflegten Garten und entstand vermutlich kurz nach der Fertigstellung des Hauses. Dieses Foto erzählt auch ein bisschen von der Geschichte jener rätselhaften, miteinander verknüpften Initialen, die nach wie vor am schmiedeeisernen Haupttor zu sehen sind. »JP« nämlich führt uns zu Josefine Putz, Mitglied einer Wiener Molkerei-Dynastie und einst Eigentümerin des Hauses. Wie auch die benachbarte Villa Kurzbauergasse 10 war es vom Architekten Franz Mörth entworfen worden und hatte sich auf spannende Weise abgegrenzt von den Gründerzeitbauten der Umgebung. Eine Abgrenzung, die heute, wenngleich auf andere, sehr melancholische Weise, ebenfalls stattfindet: Inmitten der schönen, vielfach neu renovierten Häuser des Viertels lässt sich die Sportklubstraße 8 durchaus als provokant platziertes Menetekel deuten, als Vorgriff auf eine mögliche Zukunft, die unbestimmt und sehr dunkel erscheint. Das More’sche Utopia – hier, in diesem nun wild wuchernden, weil vom Menschen verlassenen Dschungel, findet man es jedenfalls nicht.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Claudia N

    Ihr Artikel über Wandel und Vergänglichkeit, hat mir sehr gut gefallen. Ich spaziere oft in dieser schönen Gegend Wiens und freue mich jedes mal im Zentrum einer grossen Stadt ein Biotop in seinen natürlichen Veränderung zu sehen. Bis jetzt ist offensichtlich die Natur dort Sieger geblieben…

  2. Eva Maria

    Ja, ich sehe das ähnlich wie Sie. Danke für den Kommentar!

  3. Matthias

    Ich gehe auch sehr oft an dem Gebäude vorbei, so schön die Natur im Garten ist, so hässlich die Bemahlungen an der Mauer. Hier müssten man den Eigentümer bitten das zu ändern.

    Auch wäre es super die Villa wieder bewohnbar zu machen -> die Leute müssen ja viel Geld haben wenn sie diese nicht nutzen müssen…. :-)

  4. Eva Maria

    Die farbenfrohen Graffiti und Tags passen doch eigentlich ganz gut zum nahen Wurstelprater :) Nein, im Ernst: Das Gebäude wirkt schon sehr devastiert, vermutlich würde es abgerissen werden. Irgendwie wäre das schade! Jetzt hat dieses Anwesen etwas sehr Geheimnisvolles an sich und entzündet die Phantasie; das ist in einer zunehmend sterilen Welt ja ebenfalls ein Wert. Aber vielleicht sehe ich es auch zu romantisch, ist durchaus möglich :)

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