Das Drama rund um den Tiergarten am Schüttel, 1863–66

Die Zahlen, sie waren desaströs. Ein Jahr nach der so hoffnungsvoll begangenen Eröffnung wurden die beiden konsternierten Herren nun mit einem Defizit konfrontiert, dessen Ausmaß in den Wiener Salons rasch die Runde machte. Kein Zweifel: August Graf Breuner und Johann Graf Wilczek hatten sich verkalkuliert. Der im Prater angesiedelte Tiergarten am Schüttel – an sich ein zukunftsweisendes Projekt, das laut allgemeiner Meinung gar nicht schief gehen konnte – hatte sich für seine Mäzene schon bald als böses Verlustgeschäft entpuppt. Selbst eine Spende des Kaisers, der Grundstücksflächen beigesteuert hatte, verpuffte wirkungslos.

Johann Graf Wilczek (1837-1922)

Zwei Jahre zuvor, 1862, zeigte sich Wiens wissenschaftliche Welt noch zuversichtlich. Das Vorhaben war auch durchaus verlockend: Befeuert durch den überraschend großen Besucherstrom, der die Räumlichkeiten des 1860 eröffneten Aquariums am Michaelerplatz 2 füllte, hatten dessen Gründer Gustav Jäger, ein fortschrittlicher, international anerkannter Zoologe und Darwin-Fan aus Stuttgart, sowie Alexander Ussner, ein Hamburger, der einst als „Beamter am k.k. zoologischen Museum Wien“ tätig war, die Idee entwickelt, im Prater einen auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Tiergarten zu errichten – die Tiere sollten etwa in einem ihrem natürlichen Lebensraum entsprechenden Ambiente unterbracht sein. Man begann bescheiden, beschränkte sich auf heimische Fauna und eröffnete im Frühjahr 1861 einen kleinen Zoo. Schon hier mit an Bord: Breuner und Wilczek, die beiden hoch gebildeten Aristokraten, die das Inventar des Aquariums übernommen hatten und, den Blick fest auf eine zukünftige Erweiterung gerichtet, im In- und Ausland (Paris, London) sofort auf eigene Kosten mit dem Ankauf von Tieren begannen. Im Jänner 1862 gab die Österreichische Botanische Zeitung einen ersten Lagebericht ab: „An eine Vergrösserung des Gartens durch Verwendung der umliegenden Lokalitäten ist vorderhand nicht zu denken und es wurde deshalb der an den Prater anstossende Schüttelgarten um die jährliche Pachtsumme von 20000 fl. für die Dauer von 10 Jahren acquirirt [von Breuner und Wilczek, Anm.]. Das zweckmässige und geschmackvolle Arrangement des vorderhand bestehenden kleinen Gartens berechtigt zu der Hoffnung, dass Wien an dem Acclimatisationsgarten im Schüttel ein Institut aufzuweisen haben wird, dass den deutschen, niederländischen, englischen und französischen Gärten ebenbürtig zur Seite stehen dürfte.“

Gustav Jäger (1882-1918)

Als Direktoren des neuen Zoos, der nach seiner Umgestaltung (Architekt: Anton Schrödl) international Furore machen sollte, wurden Jäger und Ussner installiert, denen man offenbar auch in Sachen Management unbedingten Experten-Status zubilligte. Am 5. Juni 1862 wurde schließlich auch frohgemut eine „Thiergarten-Gesellschaft“ gegründet, die Anteilscheine zu je 100 Gulden ausgab. Der glückliche Besitzer einer Aktie konnte diese entweder in eine Jahreskarte für den zukünftigen „Thiergarten am Schüttel“ umwandeln oder auf eine einträgliche Wertsteigerung hoffen. Diese jedoch trat nicht ein. Im Gegenteil. Der Verkauf verlief nur schleppend; Ende 1862 waren bloß etwa 150.000 Gulden in die Gesellschaft geflossen. Zu jenem Zeitpunkt waren die Arbeiten am Schüttel jedoch schon längst im Gange: „An der Herstellung des Parkes im Prater, welcher im Monate Mai kommenden Jahres als Thiergarten eröffnet werden soll, wird bereits mit vielem Eifer gearbeitet und mit Hilfe eines zahlreichen Arbeiter-Personales hat ein grosser Theil des Parkes bereits jene Umgestaltungen erhalten, die ihn für seinen künftigen Zweck geeigneter machen sollen. Zur Unterbringung allerlei Wassergeflügels wurden zwei umfangreiche Teiche gegraben, über denen sich ein Bau aus Drahtgittern erheben wird, um die Flucht der daselbst unterzubringenden verschiedenartigen Wasservögel zu verhindern. Der Wasserbedarf für diese Teiche, sowie für den inmitten des Parks errichteten Springbrunnen wird aus dem Donaukanale gedeckt und die Wasserleitungen für die beiden Teiche werden soeben gelegt, während für den Springbrunnen das Wasserreservoir bereits hergestellt ist. Im Frühjahre soll auch das Terrain, auf welchem sich das Gasthaus ‚Zum Schüttel’ befindet, sowie ein in der Nähe gelegener Zimmerwerksplatz noch in den Umfang des Thiergartens einbezogen werden.“ (Österreichische Botanische Zeitung, 1862).

Die feierliche Eröffnung fand schließlich am 25. Mai 1863 statt und wurde auch von der internationalen Biologen-Community mit Wohlwollen aufgenommen. Die Wiener nahmen den neuen Tiergarten ebenfalls begeistert an; so konnte man sich 1864 etwa über 230.000 Besucher freuen.

Am Tag nach der Eröffnung: Anzeige in der Neuen Freien
Presse
(26. Mai 1863)

Verblüffenderweise aber half selbst dieser Zuspruch der Bevölkerung nicht: Die Bilanzen des Tiergartens taumelten dem Abgrund entgegen. Verantwortlich dafür war wohl katastrophales Missmanagement, wobei sich die Direktion mit Jäger und Ussner sowie der Verwaltungsrat mit gegenseitigen Schuldzuweisungen überhäuften.  Der kostspielig angelegte Tiergarten verschlang ein Vermögen und wurde schon drei Jahre später, am 1. September 1866, wieder geschlossen (spätere Wiederbelebungsversuche unter anderen Besitzern verliefen ebenfalls erfolglos); Ussner hatte sich schon vor einiger Zeit dem Blickfeld entzogen und war nach London verschwunden, der jetzt verarmte, bitter enttäuschte Gustav Jäger übersiedelte nun nach Stuttgart. Für den damals 29-jährigen Wilczek bedeutete das Tiergarten-Fiasko ebenfalls einen ersten Rückschlag. Doch schon wenige Jahre später sollte er ein Projekt fördern, das in die Geschichte einging: Johann Nepomuk Graf Wilczek, auch Hans genannt, zählte zu den wichtigsten Geldgebern der von Julius Payer und Carl Weyprecht geleiteten Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition (1872-1874).