Der Mann, der Yeats verjüngte. Eugen Steinach, Böcklinstraße 51, 53, 94 (1912-1938)

Eugen Steinach, 1861-1944

Who can know the year, my dear,
when an old man’s blood grows cold?
– W. B. Yeats,
The Wild Old Wicked Man, 1937

»Ich habe es machen lassen.« berichtete W. B. Yeats im Frühsommer 1934 begeistert einem erstaunten Dubliner Freund. Mit »es« spielte der damals 69-jährige Nobelpreisträger auf jene Operation an, die ihm, der mit dem Alterungsprozess nur schwer zurechtkam (»That is no country for old men« klagte er etwa 1928 in Sailing to Byzantinum), erneut erotische Höhenflüge ermöglichen sollte: Eine Vasektomie, ausgeführt durch den flamboyanten Sexologen Norman Haire in London. Als praktischer Nebeneffekt würde sich zudem der hohe Blutdruck des Dichters senken. Yeats war also, wenig überraschend, bester Dinge und ließ sich auch durch spitze Bemerkungen fehlinformierter Zeitgenossen nicht aus der Ruhe bringen: Das sei doch, als würde man einen Cadillac-Motor in einen Ford einbauen, witzelte etwa Schriftstellerkollege Frank O’Connor.

Doch tatsächlich hatte der notorische Womanizer Yeats, erstens, sich eben nicht, wie O’Connor vermutete, Affendrüsen transplantieren lassen (damals ebenfalls à la mode), und, zweitens, in jenen fünf Jahren zwischen dem oben geschilderten Eingriff und seinem Tod noch vier ernsthafte sexuelle Beziehungen. Eine der Frauen, die linke, mit dem Anarchismus sympathisierende Autorin Ethel Mannin, kleidete sich, auch in Absprache mit Norman Haire, bei den Tête-à-têtes gar besonders verführerisch, um Yeats wie auch sich selbst vom Erfolg der Operation zu überzeugen. Zufrieden schrieb der (im übrigen verheiratete) Ire also 1937: »Nicht nur meine Kreativität wurde wiederbelebt, sondern auch mein sexueller Appetit. Und dies wird wahrscheinlich bis an mein Lebensende so bleiben.« In Wien nahm man die frohe Kunde wohl mit gewisser Genugtuung auf. Das theoretische Fundament zu dieser Operation hatte nämlich Eugen Steinach gelegt, am Vivarium tätiger Wissenschafter, ansässig in der Böcklinstraße und spätestens seit den 1920er Jahren weltweit bekannt – und umstritten – als »Verjüngungsarzt«. So ließ sich nicht nur Yeats »steinachen«, nein: Der an Krebs erkrankte Freud hatte sich im November 1923 ebenfalls dieser Operation unterzogen (sie habe allerdings nichts bewirkt, klagte er im August 1924). Auch Arthur Schnitzler zeigte sich an den Steinach’schen Forschungen sehr interessiert. Andere hingegen winkten ab: »Würden Sie sich steinachen lassen« wurde etwa 1924 George Bernard Shaw gefragt. »Ich möchte nicht verjüngt werden« antwortete dieser. »Wenn ich einen Wunsch habe, so ist es der, senilisiert zu werden«.

W. B. Yeats liest The Lake Isle of Innisfree. Die Aufnahme stammt aus 1937, wurde somit drei Jahre nach der Steinach-Operation des Dichters produziert.

Fraglich, ob Eugen Steinach über diese Aussage, so sie ihm bekannt war, lachen konnte. Mit Kritik jedenfalls, oftmals auch antisemitisch grundiert, war er, der 1861 als Sohn eines jüdischen Arztes in Hohenems geboren wurde, in Genf und Wien studiert hatte und 1907 in Prag zum ordentlichen Professor ernannt wurde, seit langem vertraut. 1912 war Steinach in die Donaumetropole übersiedelt und hatte an der Biologischen Versuchsanstalt im Prater die Leitung der tierphysiologischen Abteilung übernommen, wo er eng mit Paul Kammerer zusammenarbeitete. Er wohnt über viele Jahre in der Böcklinstraße 94, wird die Villa Nr. 51 käuflich erwerben und führt überdies seit 1919 seine Praxis an der Adresse Böcklinstraße 53 – hier ist nun für lange Zeit ein wesentliches Zentrum der Hormon- und Sexualforschung angesiedelt.

Frida Strindberg schaltet sich ein

Zu den ersten, die nach Wien pilgerten, um sich der Steinach-Operation zu unterziehen, zählte der reiche, in britischen Finanzkreisen bestens bekannte Alfred Wilson, ein gebürtiger Australier. Im Frühjahr 1920, nach einem mehrwöchigen Aufenthalt, kehrte der 70-jährige als hingerissener Jünger des österreichischen Professors zurück nach London. Enthusiastisch mietete er die Royal Albert Hall, um dort am 12. Mai 1921 einen Vortrag mit dem Titel How I Was Made Twenty Years Younger zu halten. Doch am fraglichen Abend wartete das p.t. Publikum vergeblich: Alfred Wilson war – welch seltsame Wendung des Schicksals! – an eben jenem Tag verstorben.

Wohl auch auf Grund dieses Vorfalls publizierte die New York Times kurz danach einen zweiseitigen Artikel über Steinach und seine Forschungen. Der Text basierte auf einem Interview mit Frida Strindberg, der zweiten Frau des Dramatikers und damals in der US-Metropole lebend. Strindberg, deren Vater Friedrich Uhl (1825-1906) Chefredakteur der Wiener Zeitung gewesen war und die mit ihrem freigeistigen Lebensstil schon in Berlin für Aufsehen gesorgt hatte (bevor sie in London die erste Kabarett-Bühne der Stadt gründete), sprang Steinach energisch zur Seite. »Er ist ein Mann um die Fünfzig«, erzählte sie der Zeitung, »groß, meisterhaft und ausgestattet mit einer seltenen Eigenschaft: mit Persönlichkeit. Eine Kombination von intellektuellen und menschlichen Qualitäten. Ein Idealist mit einem wissenschaftlichen Geist. Wer ihn kennt, weiss sofort, dass er jener Mensch ist, der dir das Leben zurückgeben kann, und der auch jeden Preis dafür bezahlen würde. Man ist außerdem überzeugt, dass er zu sorgfältig arbeitet, um falsch zu liegen, und zu wahrheitsliebend ist, um jemals sich selbst oder andere zu betrügen.«

Der Steinach-Film

Strindberg befand sich mit ihrer Unterstützung nicht alleine. In – wiewohl kleinen, streng abgezirkelten – wissenschaftlichen Kreisen waren Konzepte der Verjüngung und Forschungen zur Eugenik schon seit Ende des 19. Jahrhunderts en vogue; so sorgte unter anderem auch der in Paris ansässige Chirurg Serge Voronoff mit seinen Experimenten regelmäßig für Schlagzeilen. Eugen Steinach wiederum publizierte unermüdlich in Fachzeitschriften und erläuterte dort seine These, durch Transplantation, Sterilisation oder Kastration (und somit durch hormonelle Adaptionen) den Alterungsprozess zu beeinflussen oder die geschlechtliche Identität zu verändern. Nach wie vor sorgen diese Forschungen für heftige Debatten in Homosexuellen- und Transgender-Communities und es soll nicht verschwiegen werden, dass Steinach hier auch auf empörte Ablehnung stößt. (Weniger umstritten hingegen ist Magnus Hirschfeld, schwuler Pionier der Sexualforschung, der sich in seinen Arbeiten ebenfalls auf Steinach berief. 1919 hatte der in Berlin tätige Hirschfeld, zu dessen Schülern auch Yeats‘ Chirurg Norman Haire sowie Arthur Koestler zählten, mit Anders als die andern den ersten Film verantwortet, der sich dezidiert mit Homosexualität auseinandersetzt und ein flammendes Plädoyer für deren Entkriminalisierung hält – ein Meilenstein der Kinogeschichte. Regie führte der Wiener Richard Oswald, in der Hauptrolle eines auf Grund seiner sexuellen Veranlagung erpressbaren Violinisten ist Conrad Veith zu sehen. Rosa von Praunheim setzte Hirschfeld mit dem 1999 gedrehten Streifen Der Einstein des Sex übrigens ein filmisches Denkmal; Eugen Steinach wird hier vom wunderbaren Otto Sander verkörpert.)

Einst wild umstritten, nun legendär: Ausschnitt aus dem  Steinach-Film, 1922

1922 schließlich wurde mit Steinachs Forschungen auch ein Dokumentarfilm gedreht. Die finanzierende UFA scheute diesbezüglich keine Mühen und Kosten: nachdem sich die Räumlichkeiten des Vivariums für die Aufnahmen als ungeeignet erwiesen hatten, baute man kurzerhand ein komplettes Laboratorium nach. Trocken und sehr textlastig gestaltet, wandte sich der Lehrfilm ausschließlich an ein Fachpublikum, von dem man annahm, es könne die hier vorgestellten Operationen korrekt einschätzen. An dieser Doku war Eugen Steinach prominent beteiligt (wenngleich er sich während der Dreharbeiten als nicht gerade unkompliziert erwies). Vehement von ihm abgelehnt jedoch wurde der Steinach-Film, eine kurz danach von der UFA produzierte »populäre Fassung«, die das schon vorhandene Material unterhaltsam und für eine breite Öffentlichkeit neu arrangierte. Diese Version wurde erst im zweiten Anlauf und nach massiver Überzeugungsarbeit, unter anderem durch Alfred Kerr, von der Berliner Zensur freigegeben (das Deutsche Filminstitut hat übrigens beide Urteile online gestellt).  Für Steinach selbst endete diese Episode seines Lebens auch angesichts der galoppierenden Inflation höchst enttäuschend. So schrieb er im Juni 1923 an seinen New Yorker Schüler Harry Benjamin: »Mit der UFA stehe ich in keinem Kontakt mehr. Ich bin so hineingelegt, belogen und betrogen (von Konsortium und UFA), dass für mich so alles verloren ist. 25 Millionen sandte man mir kürzlich als meine Beteiligung. Damit kann ich mir nicht eine Krume von einer halben Semmel kaufen.« Es war ein deutsches Pharmaunternehmen, das hier rettend einsprang: Ab 1923 entwickelte der Wiener Professor in Zusammenarbeit mit der Schering-Kahlbaum AG das Hormonpräparat Progynon, dessen Markteinführung im Jahr 1928 erfolgte (und das Eugen Steinach als Spiritus Rector der »Pille« einen Platz in der Medizingeschichte sichern sollte).

Hollywood greift zu

Einen Karriereschub aus ungeahnter Richtung verschaffte ihm überdies die US-Autorin Gertrude Atherton, Gründungsmitglied der Writer’s League of America, Feministin und bekannte Figur in New Yorks literarischen Zirkeln. Atherton, die einige Jahre in Wien gelebt hatte und nun weit über sechzig war, veröffentlichte 1923 mit Black Oxen (Schwarze Stiere) einen bizarren Roman, der die phänomenalen Resultate der Steinach-Operation preist (welche die Schriftstellerin selbst an sich hatte vornehmen lassen). In seinem Zentrum steht die wundersam verjüngte Mary Ogden, eine bildschöne, brillante, mit einzigartigem politischen Talent gesegnete Amerikanerin, die sich in der Donaumetropole aus altruistischen Gründen dem Eingriff unterzogen hatte und nun nicht nur zwischen zwei Männern steht – Lee Clavering nämlich, der ihr Sohn sein könnte, sowie dem Aristokraten Moritz von Hohenauer -, sondern auch vor der Herausforderung, »Österreich zu retten«.

Der Traum von der ewigen Jugend: Black Oxen (1923) mit Corinne Griffith (Mary Ogden), Conway Tearle (Lee Clavering) und Tom Guise (Judge Trent).

Die Reaktion auf das Werk war, wie Harry Benjamin seinem erfreuten Wiener Mentor berichtete, auf überwältigende Weise positiv (Rezension TIME Magazine); das Buch kletterte rasch an die Spitze der US-Bestsellerlisten. Und ja doch, tatsächlich – der Titel des Romans bezieht sich verblüffenderweise auf ein Zitat von W. B. Yeats:

The years like Great Black Oxen tread the world
And God the herdsman goads them on behind.

Hollywood griff, wen wundert’s, sofort zu: In der Regie von Frank Lloyd, Mitbegründer der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (er  würde 1935 auch Meuterei auf der Bounty mit Clark Cable und Charles Laughton drehen), verkörpert eine cool agierende Corinne Griffith die 60-jährige, allerdings Dezennien jünger aussehende Mary. In die Kinogeschichte ging das gar nicht mal uninteressante Drama allerdings nicht seines Sci-fi-Plots wegen ein: Schon nach wenigen Minuten taucht mit der damals blutjungen, unbekannten Clara Bow (als wilder Teenager Janet Oglethorpe) die zukünftige Königin des Stummfilms und Patin des Begriffs »It-Girl« auf der Leinwand auf. Roman und Film enden übrigens unterschiedlich, was wohl Hollywoods Sehnsucht nach einem versöhnlichen Ausgang geschuldet sein dürfte. Leider ist Black Oxen, the Movie, nicht vollständig erhältlich, doch können vom George Eastman House mustergültig restaurierte Kader – immerhin drei Viertel des Films – auch via Internet angesehen werden.

1938. Zerstörung und Exil.

1931, nach unzähligen Experimenten, Operationen und Abhandlungen, ging Eugen Steinach schließlich in Pension. Seine Praxis in der Böcklinstraße 53 allerdings führte er weiter. Bis zum 12. März 1938. Als die Nazis in Österreich einmarschierten, befand sich der 77-jährige Professor und zweifache Lieben-Preisträger in Begleitung seiner Gattin auf einer Vortragsreise in der Schweiz. Wie sich aus Briefen rekonstruieren lässt, wurden seine Räumlichkeiten sofort gestürmt, seine Unterlagen beschlagnahmt (und in der Folge zerstört), jede Spur seines wissenschaftlichen Lebens auf brutale Weise ausradiert. Freunde berichten, an seinem Telefon hätte die SA abgehoben.

Steinach würde nicht mehr nach Wien zurückkehren. Noch im Sommer 1938, während eines Aufenthalts im Zürcher Hotel St. Gotthard, beging seine Frau Antonie Selbstmord, er selbst verblieb, auch angesichts erfolgloser Bemühungen von Harry Benjamin, ihm eine Stellung an US-Universitäten wie Berkeley zu organisieren, erschöpft und desillusioniert in der Schweiz. Die folgenden Jahre verbrachte er damit, für seine Assistenten US-Visa zu besorgen und seine Forschungen zur Sterilisation von Nutztieren weiterzuführen. 1944 schließlich verstarb der umstrittene Wissenschafter aus der Böcklinstraße, der Maßgebliches für die moderne Endokrinologie geleistet hatte, in Territet bei Montreux. Auch wenn er heute in der breiten Öffentlichkeit vergessen scheint – Literaturfreunde stoßen nach wie vor auf seinen Namen. »Da kommt dir der wieder, ein kesser Junge, ein feiner Pinkel, ich sag dir, Franz, du fasst dir an die Stirn, was ist denn mit dem passiert, hat der sich steinachen lassen von gestern? Also und fängt an zu reden und kann tanzen.« Alfred Döblin hat diese Zeilen 1929 verfasst. Zu finden sind sie in Berlin, Alexanderplatz.

LITERATUR:
Heiko Stoff, Ewige Jugend: Konzepte der Verjüngung vom späten 19. Jahrhundert bis ins Dritte Reich (Böhlau, 2004)
Rudolf Werner Soukup (Hg.), Universität Wien, Die wissenschaftliche Welt von gestern: Die Preisträger des Ignaz L. Lieben-Preises 1865-1937 und des Richard Lieben-Preises 1912-1928 (Böhlau, 2004)