Stempelabdruck auf der Rückseite von Marianne Strobls Foto Brückenbau für den Bezirks-Strassenausschuss Fulnek, um 1906 (de.wikipedia.org/wiki/Marianne_Strobl, abgerufen am 13. August 2025).
Tipp: Mit der Ausstellung Nur die größten Baustellen. Marianne Strobls Fotokampagnen präsentiert das von Monika Faber geleitete Wiener Photoinstitut Bonartes eine eindrucksvolle Schau über die singuläre und rund zwei Jahrzehnte – bis zu ihrem Tod (→Sterbebuch Pfarre Lainz) – in der Halmgasse 3 ansässige Fotografin Marianne Strobl (1865–1917).
INFORMATION: Nur die größten Baustellen. Marianne Strobls Fotokampagnen 13. August bis 21. November 2025 (gegen Voranmeldung) Photoinstitut Bonartes Seilerstätte 22 1010 Wien www.bonartes.org
Blick in den Garten: Das 1884 fertiggestellte Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße 20-22. Hier befand sich auch das Atelier des begeisterten Hobbyfotografen Albert von Rothschild.
Selbstverständlich kennt man ihn als sehr erfolgreichen Porträtfotografen, als einen Mann, der Angehörige des habsburgischen Kaiserhauses ebenso ablichtete wie Mitglieder des jüdischen Wiener (und Pariser) Großbürgertums, Marie Cecilie von Fould-Springer etwa (siehe Foto). Manche wissen auch Bescheid über seine schriftstellerische Tätigkeit, über Künstlerromane, die das Multitalent unter anderem zu Dürer, Waldmüller oder Élisabeth Vigée Le Brun verfasste. Und all jene, die sich mit Plakatkunst beschäftigen, sind natürlich bestens informiert über das für die österreichische Werbegrafik der Zwischenkriegszeit so bedeutende Werk seines gleichnamigen Sohnes.
Einflussreicher Bankier und Mäzen: Albert von Rothschild.
Wo aber startete Hermann Clemens Kosel seine durchaus beeindruckende Karriere? Nein, es war kein dunkler Hinterhof-Schuppen, der dem jungen, 1867 im böhmischen Dunkelthal geborenen Mann als Sprungbrett nach oben diente, sondern ein prachtvolles Neorenaissance-Palais, das sich entlang der noblen Wiener Prinz-Eugen-Straße (damals: Heugasse) erstreckte. In diesem Palais residierte Albert von Rothschild, Bankier (S. M. von Rothschild, Creditanstalt), Großindustrieller und Mäzen, eine vielseitig interessierte Persönlichkeit mit ausgeprägtem Faible für Astronomie, Schach – und die Fotografie.
Rothschild, der in seinem Palais ein eigenes Atelier einrichtete, engagierte Kosel 1891 als Mitarbeiter, eine Anstellung, die möglicherweise auf Empfehlung von Josef Maria Eder erfolgte, dem international renommierten Fotochemiker und Direktor der k.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren (heute: Graphische Lehr- und Versuchsanstalt) – Kosel hatte dort eben seine Ausbildung abgeschlossen. In den kommenden Jahren, bis 1905, wird er in der Prinz-Eugen-Straße 20-22 arbeiten, Erfahrungen sammeln, Kontakte knüpfen.
[Anmerkung: Ob der Wiener Fotograf Franz Löwy, dessen Arbeiten die heimischen Lifestyle-Zeitschriften vor dem »Anschluss« in erheblichem Maße prägten, eine nähere Beziehung zum Pratercottage hatte – ich weiß es nicht. Wiewohl: Ja, er war vermutlich mit Emil Mayer gut bekannt. Dieser Artikel jedenfalls entstand im Bemühen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, da zu Löwys Dependance in Paris sowie zu seinem Schicksal nach 1938 bis dato kaum Informationen auffindbar waren.]
Ein Text über 16, Place Vendôme könnte durchaus um Henry Miller kreisen. In diesem Fall hätten wir ein nobles Pariser Gebäude, angesiedelt an einem der teuersten Plätze der Seine-Metropole, sowie einen in der Montparnasse-Bohème verankerten US-Schriftsteller – und dennoch würde besagte Abhandlung auch nach Wien führen. Wir könnten, falls wir an komplizierten biographischen Querverweisen interessiert wären, sogar den wilden William S. Burroughs ins Spiel bringen, ebenso Nabokov mit seiner Lolita. Wir könnten Seite um Seite füllen mit ambitionierten Analysen zu erotischer Belletristik im 20. Jahrhundert, zur Geschichte ausufernder Literaturskandale, zu umstrittenen Verlegern, empörten Journalisten und erfreuten Lesern. Kurz: Wir könnten uns mit Jack Kahanes Obelisk Press auseinandersetzen (und, siehe Burroughs, Nabokov etc., zudem als Sidestep mit der Olympia Press seines Sohnes Maurice Girodias), einem Verlag, dessen Räumlichkeiten sich in den 1930er Jahren in 16, Place Vendôme befanden. Hier wurde 1934 Henry Millers Wendekreis des Krebses publiziert, jener in mehreren Ländern sogleich verbotene Roman, in dem Miller seinen engen Freund Alfred Perles, einen Wiener, erstmals literarisch verewigte.
Wie so viele Anrainer war offenbar auch Fotopionier Emil Mayer ein passionierter Beobachter des Donaukanals, konkret: von dessen saisonal bedingtem Antlitzwechsel. In der Photographischen Korrespondenz, Ausgabe Jänner 1918, findet man nämlich unter anderem ein von ihm angefertigtes, mit Eistreibenbetiteltes Foto. Tatsächlich handelt es sich um eine Aufnahme des Donaukanals an der Franzensbrücke, um Mayers unmittelbare Nachbarschaft also, wohnte der Fotograf doch bis zu seinem Selbstmord (8. Juni 1938) im Haus Böcklinstraße 12. Berührend an diesem Foto ist zudem auch Mayers nachvollziehbare Entscheidung, das am Landstraßer Donaukanalufer befindliche Gebäude Dampfschiffstraße 18/Radetzkystraße 24-26 in seine düster-melancholische Komposition einzugliedern. Links im Bild ist es schemenhaft und schneebedeckt zu sehen, jenes faszinierende Eckhaus, das von 1847-1849 entstand, laut Architektenlexikon (Architekturzentrum Wien) eine »sehr frühe und zukunftsweisende formale Lösung« darstellt und somit einen nicht unwesentlichen Rang in der hiesigen Stadtlandschaft einnimmt: »Die einheitliche architektonische Gestaltung mit betonter Ecke intendiert bereits die für Wien typische Blockverbauung, und auch die dominierende Eckansicht wird später zu einem Charakteristikum der Stadt.« Schon einige Jahre nach seiner Errichtung wird es übrigens mit dem Leopoldstädter Tempel und dem 2. Nordbahnhof ein interessantes architektonisches Dreieck bilden. Als Architekt des Gebäudes ist zwar Josef Kastan sen. angegeben, ein vielbeschäftigter Mann, der in der nahen Mayergasse sein Atelier führte und auch für mehrere Häuser in der Franzensbrückenstraße verantwortlich zeichnete. Der Grad von Kastans tatsächlicher Urheberschaft allerdings verbleibt laut Architektenlexikon eher unklar. Bauherr des von Emil Mayer auf Bild gebannten Hauses jedenfalls war Matthias Vlasz (E. Vancsa, 1974), zu dem hier in diesem Blog noch einige ergänzende Angaben gemacht werden können: Er ist vermutlich ident mit Mathias Vlasz, einem umtriebigen Architekten (!), dessen Firmensitz sich u. a. in Mariahilf Nr. 11 befand. In jenen Jahren, als besagtes Haus am Donaukanal errichtet wurde, war Vlasz übrigens auch Besitzer der Liegenschaft Antonsgasse (bzw. Feldgasse) Nr. 264, nun Viktorgasse 2/Theresianumgasse 31, (1040 Wien) und somit von einem Gebäude, das später den Maler Carl Rahl wie auch den Fotografen Ludwig Angerer beherbergen würde - Vlasz hatte die Realität 1847 von Anton Grünn, seines Zeichens ebenfalls Stadtbaumeister, erworben und sie 1850 weiter verkauft (Quelle: Karl Hofbauer, Die Wieden mit den Edelsitzen Conradswerd, Mühlfeld, Schaumburgerhof und dem Freigrunde Hungerbrunn. Wien, 1864). Heute befindet sich an Stelle dieses Gebäudes das Palais der Apostolischen Nuntiatur.
Als Trude Fleischmann rund um 1925 ihr mittlerweile berühmtes Foto von Hermine Cornides anfertigte, lebte letztere, eine Ärztin und gute Freundin von Fleischmann, gemeinsam mit ihrer Familie schon in der Villa Böcklinstraße 47 (bis 1938 oder 1939, laut Lehmanns Adressbuch). Das Getty Museum (Los Angeles), in dessen Sammlung sich dieses ausdrucksstarke Porträt einer hochgebildeten, literaturaffinen und sehr progressiven Frau befindet, hat das Foto auf seine Website gestellt:
Coolness im Polodress: Edith Glogaus Portrait von Dolfine Auersperg, publiziert 1931 in der Modernen Welt.
Sie ist ein Praterkind. Die renommierte Modefotografin mag zwar ihr Atelier im mondänen Gebäude Singerstraße Nr. 8 führen – ihren Wohnsitz hat Edith Glogau (geb. 1898) seit ihrem etwa 11. Lebensjahr in einem völlig anderen Ambiente: am Donaukanal, gleich bei der Jesuitenwiese, und nahe dem Wurstelprater. Dort ist sie umzingelt vom Delikatessengeschäft Jeschaunig und vom Friseur Freyler, von den Drogisten Tomschik und Hörrey, von der Wäscherei Senzer, dem Obsthändler Ozabal, dem Tapezierer Rosenberg und der Miederwarenhändlerin Lola Lederer. In ihrem Wohnhaus, einem schönen Gründerzeitbau an der Ecke Schüttelstraße 73 und Paffrathgasse, befinden sich neben dem eigenen Refugium (1. Stock, Türnummer 13) und jenem ihrer Schwester Olga – sie ist mit dem Anwalt Michael Munkacsy verheiratet – auch die Räumlichkeiten der Patent-Betteinlagen »Großartig«, um deren Verkauf sich die Firma Kovacs & Wertheimer so rührig bemüht. Und nähert sich Edith Glogau der Rotundenbrücke, dann passiert sie zudem die Cafés Schüttelhof und Sidon.
Intellektuellen-Portrait und Aktfotografie: 1931 vertieft sich Die Bühne analytisch in Edith Glogaus Werk. Der kurze Artikel kann online auf anno abgerufen werden.
Das Viertel am Prater ist ihre Heimat – hier wohnte sie, deren Vater viel zu früh verstorben war, schon, als sie ihre Schulzeit an der k.k. Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt begann, damals, im Jahr 1913. Dieser Ausbildung folgt eine Lehrzeit bei der einflussreichen Madame d’Ora (Dora Kallmus), der mutige Schritt in die Selbstständigkeit (1925), die Vermählung mit dem Fotografen Hans Strenitz (1929). Es sind Jahre, die geprägt sind von unzähligen Fotosessions, in deren Rahmen Capes (z. B. hier), Hüte (z.B. hier), Schals (z. B. hier) und Abendkleider elegant ins Bild gerückt werden. Glogau macht Karriere, rasch und steil, eine Karriere, die überdies befeuert wird durch sensible Porträtstudien bekannter Schauspielerinnen (Luise Rainer etwa, oder Frauke Lauterbach) und liebevoll arrangierte Aufnahmen von Kindern des Wiener Bürgertums (auch Helmi Rasper, dessen Familie eine Villa in der Böcklinstraße bewohnt, befindet sich unter ihnen). Und dann wäre da auch noch die Aktfotografie, der sich die Fotografin aus dem Pratercottage ebenso widmet wie etwa ihre Kolleginnen Edith Barakovich und Trude Fleischmann. Diese stolzen Inszenierungen nackter weiblicher Körper findet man unter anderem in den über viele Jahre publizierten Inseraten zu »Waldheims Entfettungs-Tee« – es sind Sujets, die damals etliche österreichische Lifestyle-Zeitschriften füllten, auch die Moderne Welt (Verlag Chic Parisien Bachwitz), die in unmittelbarer Nähe, auf der anderen Seite des Donaukanals, im Palais des Beaux Arts (Löwengasse 47) produziert und von Glogau regelmäßig mit Fotos versorgt wird.
Kühle Grandezza, umflort von Melancholie: Rositta Gutmann in der deutschen Vogue vom April 1929. Foto: Edith Barakovich.
Ende der 1920er Jahre wagte der renommierte US-Verlag Condé Nast ein Experiment: Sein Style-Flaggschiff, die Modezeitschrift Vogue, sollte nun auch in einer deutschen Ausgabe erscheinen. Die Redaktion wurde, wenig überraschend, im pulsierenden Berlin angesiedelt und das erste Magazin im April 1928 auf den Markt gebracht. Exakt ein Jahr später, am 10. April 1929, erschien man mit einem Heft, das schwerpunktmäßig neuen Autos und cooler Hutmode gewidmet war. Dem entsprechend zeigte auch Pierre Morgues Coverillustration eine sehr selbstbewusste Frau am Steuer. Dies bildete also den Rahmen für obiges Portrait von Rositta Gutmann, das auf Seite 8 zu finden ist. Geschaffen wurde es von Edith Barakovich (geb. 1896 in Zemun, damals ein Grenzort der Donaumonarchie, heute ein Stadtbezirk von Belgrad), jener jungen talentierten Wiener Fotografin, die gemeinsam u. a. mit Trude Fleischmann und ihrer Lehrmeisterin Dora Kallmus (Madame d’Ora) die traditionell männliche Szene der heimischen Lichtbildner seit längerem heftig durcheinander wirbelte. Barakovich, deren Atelier sich in Wien 4, Prinz-Eugen-Straße 30 befand, muss diese Veröffentlichung jedenfalls zu ihren Karrierehöhepunkten gezählt haben – für die Vogue (deren dt. Version Teile der US-Ausgabe übernahm) fotografierten bekanntlich internationale Stars wie Edward Steichen und George Hoyningen-Huené.
Wie lange sich die Fotografin und ihr Modell kannten, ist unklar. Durchforstet man Zeitschriften der 1920 Jahre (Moderne Welt, Frisierkunst der Mode, etc.), so findet man etwa eine Aufnahme, die Barakovich um 1927 von Anna Lucia und Maria Habig angefertigt hat, den Nichten von Hans Emil Gutmann, Rosittas Ehemann. Es sind Fotografien, die von einer Welt erzählen, die zertrümmert werden würde: Zehn Jahre, nachdem das Porträt in der Vogue erschien, lebten beide Frauen nicht mehr in Wien. Edith Barakovich war mit ihrem Gatten, dem Drehbuchautor Paul Frank, 1938 nach Frankreich emigriert und wird 1940 in Marokko, einer weiteren Fluchtstation, Selbstmord begehen. Rositta Gutmann, Mitglied einer der berühmtesten jüdischen Familien Mitteleuropas, wohnte seit Februar 1938 in Genf. Sie sollte nicht mehr in die Rustenschacherallee zurückkehren.
Blick auf die Jesuitenwiese
Es war eine Straße, die sie schon seit langem kannte. 1912, noch vor dem 1. Weltkrieg, hatte sich Rositta Ungar-Wiener (man beachte den Doppelnamen!) in ihrem an der Jesuitenwiese gelegenen Haus Rustenschacherallee 40 angesiedelt. Drei Jahre später heiratete sie, die 1882 im galizischen Tarnopol als Tochter von Saul und Regina Wiener geboren wurde, in zweiter Ehe Hans Emil Ritter von Gutmann, neun Jahre jünger, Enkel von David Ritter von Gutmann, einer der »Kohlenbarone« also, wie die Gutmanns in Wien genannt wurden.
Das wirtschaftlich erfolgreichste Brüderpaar der Donaumonarchie: Wilhelm (1826-1895) und David Ritter von Gutmann (1834-1912).
Es würde hier zu weit führen, die gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten dieser sehr reichen, sehr mächtigen Familie aufzulisten (sie umfassten Bergbau ebenso wie Bankgeschäfte), erwähnt werden soll allerdings das soziale Engagement: Die Gutmanns unterstützten nicht nur Rudolfinerhaus und Poliklinik mit hohen Beträgen, sondern wirkten auch, gemeinsam mit der ihr eng verbundenen Familie Rothschild, mittels Spenden (an die Kaiser-Franz-Joseph-I.-Jubiläumsstiftung für Volkswohnungen und Wohlfahrtseinrichtungen) an der Errichtung des damals hochmodernen, 1905 eröffneten Männerwohnheims in der Brigittenauer Meldemannstraße mit. Dass jener Mann, der später an der Spitze des NS-Terrorregimes stand, ausgerechnet dort von 1910-1913 wohnte (Details dazu sind nachzulesen in Brigitte Hamanns Hitlers Wien), mutet angesichts der Nazi-Gewalt, die über das Pratercottage niederbrach, besonders trist an: nicht nur lebten in der Rustenschacherallee mehrere Mitglieder der Familie, sondern in der (heute stark veränderten) Villa Böcklinstraße 35 überdies auch Bertha Wiedmann, eine Nichte von David und Wilhelm von Gutmann, und ihr Gatte Heinrich, der Prokurist des Konzerns Gebrüder Gutmann (die beiden waren übrigens Großeltern von Grete Tugendhat).