„Wo ich den ganzen Prater übersehe“ – Bettina Brentano an Goethe, 1810

Das Brentano-Birkenstock-Haus, Erdbergstraße 19, um 1900

Ein ungeheuerer Maiblumenstrauß durchduftet mein kleines Kabinett, mir ist wohl hier im engen kleinen Kämmerchen auf dem alten Turm, wo ich den ganzen Prater übersehe: Bäume und Bäume von majestätischem Ansehen, herrlicher grüner Rasen. Hier wohne ich im Hause des verstorbnen Birkenstock, mitten zwischen zweitausend Kupferstichen, ebensoviel Handzeichnungen, soviel hundert Aschenkrügen und hetrurischen Lampen, Marmorvasen, antiken Bruchstücken von Händen und Füßen, Gemälden, chinesischen Kleidern, Münzen, Steinsammlung, Meerinsekten, Ferngläser, unzählbare Landkarten, Pläne alter versunkener Reiche und Städte, kunstreich geschnitzte Stöcke, kostbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaiser Carolus. Dies alles umgibt uns in bunter Verwirrung und soll grade in Ordnung gebracht werden, da ist denn nichts zu berühren und zu verstehen, die Kastanienallee in voller Blüte und die rauschende Donau, die uns hinüberträgt auf ihrem Rücken, da kann man es im Kunstsaal nicht aushalten, heute morgen um sechs Uhr frühstückten wir im Prater, rund umher unter gewaltigen Eichen lagerten Türken und Griechen, wie herrlich nehmen sich auf grünem Teppich diese anmutigen buntfarbigen Gruppen schöner Männer aus! Welchen Einfluß mag auch die Kleidung auf die Seele haben, die mit leichter Energie die Eigentümlichkeit dieser fremden Nationen hier in der frischen Frühlingsnatur zum Allgemeingültigen erhebt und WEITERLESEN.

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