Dorothea Zeemann und die Rotundenbrücke

Wir (Dorothea Zeemann und Heimito von Doderer, Anm.) gehen über die alte Brücke von Florenz, wir gehen durch ein Bild in ein Bild, wir kennen das als schön und alt, und ich sage Arno, und ich sage Flüsse und Städte und Donau und Sophienbrücke – die Brücke unserer Kindheit -, sie heisst jetzt anders, ist nicht berühmt, aber doch grüner Fluß und Ufer und weiter Blick und eine Luft, die anders ist – eine nicht ganz so alte Brücke…
(Aus: Jungfrau und Reptil. Leben zwischen 1945 und 1972. Suhrkamp, 1982)

Der melancholische Schmerzensmann der Belle Époque. Auguste-Olympe Hériot, Rustenschacherallee 30 (ab 1929)

Auguste-Olympe Hériots Wurzeln und die Quelle seines Reichtums: Das Pariser Großkaufhaus Grands Magasins du Louvre. Hier schlug die Geburtsstunde der Konsumgesellschaft.

Noch während 2011 mehrere britische Städte von abrupten und sehr heftigen Ausschreitungen erschüttert wurden, publizierte Zygmunt Bauman einen viel beachteten Essay. Seine Kernthese: »These are riots of defective and disqualified consumers.« Ob man ihm nun zustimmt oder nicht – der renommierte Philosoph und Soziologe eröffnete damit jedenfalls eine interessante Debatte über die soziokulturellen Auswirkungen der Konsumgesellschaft, die in den kommenden Jahren an Intensität wohl zunehmen wird.

Warum dieser die aktuelle Politik betreffende Verweis hier, in einem Text über Auguste-Olympe Hériot, zu finden ist? Nun, sobald man sich auf dessen Spuren begibt, stösst man unweigerlich auf Émile Zolas Das Paradies der Damen (Au Bonheur des Dames). Der umfangreich, auch anhand vieler Interviews, recherchierte und 1883 erschienene Roman rund um ein Pariser Warenhaus enthält nicht nur wesentliche Elemente der Hériot’schen Familienchronik, sondern entpuppt sich überdies als verblüffend scharfsichtiges Porträt einer Gesellschaft, die, gesteuert durch ausgefeilte Verkaufstechniken, sich einem ungehemmten Shoppingwahn hingibt. Vieles, allzu vieles klingt hier höchst vertraut: »Endlich wurde geöffnet, und der Strom der Kunden setzte ein. Gleich in der ersten Stunde, noch ehe die dahinter … WEITERLESEN.

Charity-Veranstaltung zu Gunsten des Roten Halbmondes. WAC-Platz, 4. Juli 1915

Die Ehrenloge: Angelo Eisner von Eisenhof (links), Dietrich von Bethmann-Hollweg (3.v.l), Slatin Pascha (4.v.l.), Eduard von Liechtenstein (vorne rechts).

Es wurde als Ereignis angekündigt, dieses Fußballspiel, das am Sonntag, den 4. Juli 1915, um 17.00 Uhr auf der Anlage des WAC in der Rustenschacherallee stattfinden sollte. »Nachdem unsere Vereine für die österreichische, ungarische und deutsche Kriegsfürsorge namhafte Summen hereingebracht haben, stellt sich nun der Sport auch in den Dienst unseres dritten tapferen Verbündeten.« erklärte die Neue Freie Presse und hoffte – schließlich sollte die »erste Gesellschaft« erscheinen – auf beträchtliche Einnahmen zu Gunsten des türkischen Roten Halbmondes. Am Platz standen sich mit WAC und WAF (Wiener Associationfootball-Club) die beiden damals erstplatzierten Mannschaften der laufenden Meisterschaft gegenüber. Und selbstverständlich gab es ein Rahmenprogramm, das um 15.00 Uhr begann.

Die »tapferen Verbündeten« teilten sich, paritätisch aufgedröselt, auch die Ehrentribüne. So war das Osmanische Reich mit den hochrangigen Attachés Essad Bey und Fuad Bey am WAC-Platz vertreten. Sie fehlen leider auf obiger Aufnahme, die wohl während einer Pause entstand und die wichtigsten Proponenten aus Österreich und Deutschland zeigt. Interessant: Nur der gelassen seine Papiere (das Programm?) studierende Eduard von Liechtenstein, seines Zeichens Präsident des Roten Halbmondes, scheint sich des Fotografen nicht bewusst zu … WEITERLESEN.

»Schöner Palawatsch«. Ea von Allesch, Böcklinstraße 106, Löwengasse 47, Paracelsusgasse 9 (1915; 1918-1922)

Ea von Allesch (1875-1953)

Prolog

Angesichts der zahlreichen eklektizistischen Bauten, die sich hier versammeln, wirkt das Haus am Ende der Böcklinstraße fast schlicht. Golden glänzt der auf die Gründerzeit verweisende Fassadenschmuck in der frühen Morgensonne. Und die mittlerweile an den Mauern angebrachten Videokameras? Nun, sie stören den Gesamteindruck nicht wirklich. Man interessiert sich ja für andere Details. Für das dunkel schimmernde Tor zum Beispiel, das sie täglich passiert hatte. Damals, in der Anfangszeit des 1. Weltkriegs. Damals, als sie erneut nach Wien zurückgekehrt war. Damals, in jenen entscheidenden Tagen.

Der Aufstieg der Femme fragile als Femme fatale

»Vor etwa 5, 6 Jahren trat ich aus meinem Haus – vorbei die sog. Wasserleiche (Frau R.) eingehängt rechts Grossmann, links Polgar, fahren (warum?) wie sie mich sehn, auseinander« notierte Arthur Schnitzler um 1905 in sein Tagebuch. Die so unfein Titulierte war Emma Rudolph und in Wiens Künstlerkreisen nicht unbekannt. Schnitzler, der Alfred Polgar, dem unbeugsamen, wortgewaltigen Spötter, in herzlicher Abneigung verbunden war (gleiches gilt übrigens auch für Polgars Freund Stefan Großmann – in Schnitzlers Stück Das Wort werden die beiden entsprechend unfreundlich gezeichnet), ermöglicht uns mit dieser hingeworfenen Bemerkung, ein ganz bestimmtes, der Wiener Moderne eingeschriebenes Frauenbild zu rekonstruieren – ein Bild, … WEITERLESEN.

Der Mann, der Yeats verjüngte. Eugen Steinach, Böcklinstraße 51, 53, 94 (1912-1938)

Eugen Steinach, 1861-1944

Who can know the year, my dear,
when an old man’s blood grows cold?
– W. B. Yeats,
The Wild Old Wicked Man, 1937

»Ich habe es machen lassen.« berichtete W. B. Yeats im Frühsommer 1934 begeistert einem erstaunten Dubliner Freund. Mit »es« spielte der damals 69-jährige Nobelpreisträger auf jene Operation an, die ihm, der mit dem Alterungsprozess nur schwer zurechtkam (»That is no country for old men« klagte er etwa 1928 in Sailing to Byzantinum), erneut erotische Höhenflüge ermöglichen sollte: Eine Vasektomie, ausgeführt durch den flamboyanten Sexologen Norman Haire in London. Als praktischer Nebeneffekt würde sich zudem der hohe Blutdruck des Dichters senken. Yeats war also, wenig überraschend, bester Dinge und ließ sich auch durch spitze Bemerkungen fehlinformierter Zeitgenossen nicht aus der Ruhe bringen: Das sei doch, als würde man einen Cadillac-Motor in einen Ford einbauen, witzelte etwa Schriftstellerkollege Frank O’Connor.

Doch tatsächlich hatte der notorische Womanizer Yeats, erstens, sich eben nicht, wie O’Connor vermutete, Affendrüsen transplantieren lassen (damals ebenfalls à la mode), und, zweitens, in jenen fünf Jahren zwischen dem oben geschilderten Eingriff und seinem Tod noch vier ernsthafte sexuelle Beziehungen. Eine der Frauen, die linke, mit dem Anarchismus sympathisierende Autorin Ethel WEITERLESEN.

Der Nebel lichtet sich: Doderer und die Villa Rasper

Anlässlich der Wiener Festwochen 2010 widmete sich das Bezirksmuseum Landstraße dem sehr lobenswerten Unterfangen, Schauplätzen aus Heimito von Doderers Romanen nachzuspüren. Wiewohl im Zentrum der Recherche der dritte Bezirk stand, überquerten die an dieser nicht unaufwändigen Unternehmung beteiligten Mitarbeiter dankenswerterweise auch den Donaukanal und konnten – große Freude! – unter anderem Näheres zur Villa Rasper eruieren.

Villa Rasper, Fassadenskizze, 1875

Die einst in der Böcklinstraße zwischen Sellenygasse und Tiergartenstraße angesiedelte Villa ist ja jenen, die schon seit längerem im Viertel ansässig sind, nach wie vor ein Begriff. Dennoch mangelte es seltsamerweise an konkreten Informationen zu diesem Gebäude. Nun lichtet sich der Nebel ein wenig: Laut Einreichplan von 1875 wurde es von der 1835 im russischen Tambow geborenen Fürstin Adelaide von Mordwinow in Auftrag gegeben, die wohl, so erzählen die Literatur-Forscher aus dem Bezirksmuseum, eine »interessante und schillernde Persönlichkeit« gewesen war. Vertraut man auf Berichte von Zeitzeugen, so setzte ihr Doderer (1896-1966), obwohl er die Fürstin persönlich nicht gekannt hatte, in seinen Frühwerken Jutta Bamberger (verfasst 1923; aus dem Nachlass veröffentlicht) und Die Bresche (1924) als »Adelaide Petrowna Fürstin Masunow« auch ein literarisches Denkmal. »Das kleine Palais der Fürstin Masunow lag weit vom Zentrum in der Villenvorstadt … der Park ringsherum verlieh … WEITERLESEN.

Elias Canetti und Carl Goldmark in der Josef-Gall-Gasse 5, 1913-1915

Unser Haus war das Eckhaus der Joseph-Gall-Gasse, Nr. 5, wir wohnten im zweiten Stock, zu unserer Linken trennte ein unbebauter Platz, der nicht sehr groß war, das Haus von der Prinzenallee, die schon zum Prater gehörte. Die Zimmer gingen teils auf die Joseph-Gall-Gasse, teils nach Westen auf den unbebauten Platz und die Bäume des Praters. An der Ecke befand sich ein runder Balkon, der die beiden Seiten verband. Von ihm aus sahen wir den Untergang der Sonne, die uns rot und groß sehr vertraut wurde und meinen kleinsten Bruder Georg auf eine besondere Weise anzog. (…)

Georg, Elias, Mathilde und Nissim Canetti

Einen Stock tiefer, genau unter uns, wohnte der Komponist Carl Goldmark, ein kleiner, zarter Mann mit schöngescheitelten, weißen Haaren zu beiden Seiten seines dunklen Gesichts. (…)
Am Tage des Begräbnisses war die Joseph-Gall-Gasse schwarz von Fiakern und Menschen. Wir sahen von oben aus dem Fenster zu, wir dachten, dass kein Fleckchen unten mehr frei sei, aber es kamen immer neue Fiaker und Menschen dazu und fanden doch Platz. „Wo kommen die nur alle her?“ „Das ist so, wenn ein berühmter Mann stirbt“, sagte Paula. „Die wollen ihm alle das letzte Geleit geben. Die haben seine Musik so gern.“
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