Almas Tagebuch – Buchtipp zu Franz Kafkas Wiener Verwandtschaft, Teil 1

Als kurze Anmerkung zum letzten Blogpost noch ein Buchtipp:

Alma Mahler-Werfel. Tagebuch-Suiten 1898–1902 (Hrsg. Antony Beaumont und Susanne Rode-Breymann; S. Fischer Verlag, 1997)

Hier finden sich unzählige Einträge zum Wiener Großindustriellen Eduard Lanner (Julie Kafkas Cousin, Richard Lanners Onkel) und dessen Familie.

Franz Kafkas Wiener Verwandtschaft: Richard Lanner, Rustenschacherallee 30 (1906–1923), Teil 1

»Der Vater war in Humpoletz geboren, arbeitete als Tuchmacher und heiratete meine Mutter, die das Haus in Podebrad so auch das Geschäft als Mitgift erhielt. Der Vater hatte vier Brüder und eine Schwester. Die Brüder waren reiche Leute, sie hatten einige Tuchfabriken, hießen anstatt Löwy Lanner und waren getauft, der jüngste Neffe des Vaters war der Besitzer des Brauhauses in Koschier. Er war getauft und hieß auch anstatt Löwy Lanner. Er starb im sechsundfünfzigsten Lebensjahr.«
(Julie Kafka, geb. Löwy, Mutter von Franz Kafka, ca. 1931)[1]

sidonie lanner_1907
Regelmäßiger Gast im Wiener Salonblatt: Sidonie Lanner, deren Mann Alexander Julie Kafkas Cousin war und das Brauhaus in Košíř (Prag) besaß.

Ist es nicht verblüffend? Ausgerechnet eine Adels- und Society-Postille liefert wertvolle Informationen zu Franz Kafkas in Wien ansässiger Verwandtschaft – wer hätte das gedacht? Im Wiener Salonblatt nämlich wurde am 29. Juni 1912 ein kurzer Nekrolog publiziert, der einem angesehenen Mitglied der hiesigen Gesellschaft gewidmet war: »Am 20. d. M. nachts verstarb hier im Sanatorium Löw der Großindustrielle Herr Eduard Lanner im 64. Lebensjahre. Er war Präsident der Puch-Aktiengesellschaft und des Verbandes der Automobil-Industriellen und er erfreute sich in großindustriellen Kreisen reicher Wertschätzung. […] Herr Eduard Lanner war der Bruder des … WEITERLESEN.

1898/99: Rudi, die Praterfee und Heinrich von Liechtenstein (ca. Schüttelstraße 7–9)

»Er wurde auf Magnatenschlösser eingeladen, reiste mit einem Fürsten nach Afrika zur Löwenjagd und machte sich in witzig-feschen Aquarellen über Fürsten, Löwen, Pferde, Jockeys, diese ganze Welt, die er so liebte, und wohl auch ein wenig über sich selbst, lustig.«
(Arthur Schnitzler über Rudi Pick, in: Jugend in Wien, 1915)

»Er war mit einem Fürsten Liechtenstein befreundet.«
(Heinrich Benedikt über Rudi Pick, in: Damals im alten Österreich, 1979)

Am Abend des 1. April 1898 veranstaltete Moritz Bauer, Direktor des Wiener Bankvereins, Vater der damals 17-jährigen und später von Klimt in Gold verewigten Adele, eine gesellige Soirée. Zu jenen, die der Bankier in seiner Wohnung am Franzensring 18 (heute Universitätsring 8) begrüßen durfte, zählte auch ein lieber Freund des Gastgebers, ein witzig-amüsanter Gesellschaftslöwe, ein Mann, den ganz Wien kannte, ein Mann, dem dieser Abend zum Verhängnis wurde: Der Komponist Oscar Hofmann, 44 Jahre und unverheiratet, hatte während des Soupers plötzlich über Übelkeit geklagt, bald danach war er in Ohnmacht gefallen. Der von den schockierten Anwesenden rasch herbeigerufene Rettungsarzt ließ Hofmann schließlich in dessen Wohnung bringen – der Komponist (und Kaufmann) lebte bei seiner Mutter in der Jasomirgottstraße 5 [1] -, wo er um 1.00 Uhr morgens an … WEITERLESEN.

Der Ehrenbürger von Ostrau und die Katzen: Victor Lustig, Böcklinstraße 61, ca. 1911-1918

Oderberg 1, Vorbahnhof

Oderberg: Gigantische Bahnhofsanlage, Ölraffinerie, Chemieindustrie, rauchende Fabrikschlote. In unmittelbarer Nähe: Die riesigen Witkowitzer Eisenwerke, wo tausende Menschen an glühenden Hochöfen ihren Lebensunterhalt erarbeiten. Und auch, nur 8 km entfernt: Das zwischen Klassizismus und Neorenaissance pendelnde Schloss Schillersdorf (Zámek Šilheřovice), Mitte der 1840er Jahre von Salomon von Rothschild erworben und nun im Besitz seines Wiener Urenkels Alfons (Alphonse), Schillersdorf, ein beliebter Treffpunkt der k.u.k. Society, seit Jahrzehnten berühmt vor allem durch seine Jagdgesellschaften. Ebenfalls im näheren Umkreis zu finden: Schloss Beneschau (Dolní Benešov), das Anwesen von Louis von Rothschild – er ist, im Gegensatz zu seinem Bruder, auch mit den geschäftlichen Belangen von Witkowitz befasst.

Victor Lustig kennt das alles; folgerichtig war er daher auch Teil jener schillernden Runde, die sich 1911 im Wiener Palais Rothschild versammelte, um Albert, dem verstorbenen Patriarchen, die letzte Ehre zu erweisen. Lustig wirkte als Bürgermeister von Oderberg (Bohumín), diesem für die ausgedehnten Industriegebiete in Mähren und Schlesien so wichtigen Verkehrsknotenpunkt – die Stadt wurde schon 1847 an das Netz der Kaiser Ferdinands-Nordbahn angeschlossen. Es gibt hier, wie im fernen Wien, einen Naschmarkt und auch eine Ringstraße. Im Jahr 1900 wurde, endlich, eine eindrucksvolle Synagoge eröffnet, entworfen[1] von … WEITERLESEN.

»Der Weltkrieg brach ihr das Herz.« Dorothea Gerard, Böcklinstraße Nr. 53 (und Nr. 86?), ca. 1912-1915

War Dorothea Gerard (1855-1915) die Rosamunde Pilcher ihrer Zeit? Viele dürften dies so sehen. Und dennoch: In Gerards unzähligen, einst sehr erfolgreichen Romanen, die sie allesamt auf Englisch verfasste und u. a. in London publizierte, lässt sich nicht nur einmal Sozialkritik erkennen, auch der wachsende Antisemitismus wird von ihr thematisiert. Was aber weiß man über diese Frau, die Lehmanns Adressbuch erstmals 1912 in der Böcklinstraße anführte?

Dorothea Gerard-Longard de Longgarde

Wie ihre hier schon erwähnte Schwester Emily, die Bram Stoker Informationen zu seinem Schauerroman Dracula lieferte, wurde sie im nebelverhangenen Schottland geboren. Katholischer Adel; seit frühester Kindheit waren die beiden Mädchen überdies befreundet mit Nachfahrinnen von Karl X., dem geflüchteten französischen König und Schwager der auf dem Schafott verstorbenen Habsburgerin Marie-Antoinette. Schulzeit im Grazer Sacré Coeur, danach Vermählung mit dem k.u.k. Offizier Julius Longard von Longgarde. Zeitweise Zusammenarbeit mit Emily – später übrigens eine gute Freundin von Mark Twain – im Rahmen eines Autorinnen-Duos. In der Folge erarbeitete sich vor allem Dorothea, die offenbar der quälenden Monotonie staubiger k.u.k. Garnisonsstädte auf schreibende Weise zu entkommen trachtete, eine große Fangemeinde: Sie veröffentlichte Dutzende Werke, die zumeist um verwickelte Liebesdramen kreisen und gemeinhin unter dem Kürzel »viktorianisch« subsummiert werden. Häufig sind diese Romane, Recha etwa, oder auch OrthodoxWEITERLESEN.

Mit Nosferatu in Transsilvanien: Vorschau auf Dorothea und Emily Gerard (Böcklinstraße 53 und Neulinggasse 9)

Dorothea Gerard, 1893

Obige Illustration wurde dem britischen Strand Magazine (Nr. 25, Jänner 1893) entnommen. Sie zeigt die viktorianische Schriftstellerin Dorothea Gerard (1855-1915) und war Teil eines kurzen Artikels, in welchem die damals sehr populäre Gerard von ihrer Biografie und der Zusammenarbeit mit ihrer älteren Schwester Emily erzählt. Als Vorschau zu einem Text über die beiden in Schottland geborenen Frauen, die mit k. u. k. Offizieren verheiratet waren – Dorothea mit Julius Longard de Longgarde, Emily mit Miecislaus Laszowski von Kraszkowice – , zuletzt in Wien lebten – Dorothea in der Böcklinstraße, Emily in der Neulinggasse – und auch hier begraben sind – Dorothea am Zentralfriedhof, Emily (Emilie) in Grinzing -, folgen nun Exzerpte zu Emily Gerard und ihrem großen Einfluss auf Bram Stoker. Dessen berühmter Schauerroman Dracula (1897) nämlich nimmt, wie man auch dank seiner Notizen erkennt, in wesentlichen Teilen Bezug auf ihre Abhandlung Transylvanian Superstitions (Transsilvanischer Geisterglaube) – Madame de Laszowska, wie Emily von Stoker genannt wurde, hatte sie 1885 verfasst, basierend auf ihren Recherchen in Siebenbürgen (Transsilvanien), wo ihr Gatte 1883-1885 stationiert war. (1888 veröffentlichte sie eine Zusammenstellung mehrerer ihrer »transsilvanischen« Texte in dem Buch The Land Beyond the Forest, das online auf archive.org abrufbar … WEITERLESEN.

Exkurs: Schloss Vöslau und Makarts Gemälde Die Falknerin, 1927

Schloss Vöslau, Moritz von Gutmann, Salon, 1927
Moritz von Gutmanns Salon: Schloss Vöslau, 1927.
Hans Makart
Üppig-historistisch: Hans Makarts Gemälde Die Falknerin (ca. 1880).

Es sollte nicht unerwähnt bleiben: Hans Makarts üppig-historistisches Gemälde Die Falknerin (ca. 1880), auf welches vor einiger Zeit in einem Blogpost zu Hanna Liechtenstein-Klinkosch (Böcklinstraße 39) verwiesen wurde, befand sich einst im Besitz des feinsinnigen Moritz von Gutmann, einem Mitglied der hier ebenfalls schon mehrfach genannten jüdischen Industriellenfamilie – es war, wie ein Artikel in der Zeitschrift Die Bühne am 20. Jänner 1927 ausführt, Teil seiner Kunstsammlung im Schloss Vöslau. Am 12. Jänner 1938, exakt zwei Monate vor dem »Anschluss«, wurde es, welch zynischer Vorgang, Göring von Hitler als Geburtstagsgeschenk überreicht. Nun ist es in der Neuen Pinakothek (München) zu sehen.

Der mehrseitige Bühne-Text, welcher auch Details zu weiteren Objekten der ehedem so berühmten Sammlung in Vöslau enthält (Frans Hals, Waldmüller, Gauermann, Danhauser, Moritz Daffingers Porträts von Gräfin Flora Fries etc.), ist auf Anno online abrufbar. Ein Eintrag zur Falknerin in der Lost Art Datenbank findet sich hier.

Schloss Vöslau, Moritz von Gutmann, Aufgang zur Bildergalerie,1927
Schloss Vöslau, 1927: Aufgang zu den Gemäldegalerien.

Stammtafel mit Ignatia von Mack und Rudolf von Marogna-Redwitz

Nachfolgend: Ein Auszug der Stammtafel von Ignatia von Mack (Zuckerraffinerie am Schüttel), die uns zuletzt in einem Text über ihre Schwester Rosa begegnete. Hier findet sich nämlich, für viele vermutlich überraschend, auch Rudolf von Marogna-Redwitz wieder, der nach dem »Anschluss« 1938 als Leiter der deutschen Abwehr eine Villa in der Böcklinstraße bewohnte, im österreichischen Widerstand tätig war und 1944, nach der gescheiterten Operation Walküre, als Verbündeter von Stauffenberg in Berlin hingerichtet wurde. Ergänzend erwähnt wird überdies eine biografische Verknüpfung mit den Gebrüdern Klein (Franzensbrückenstraße bzw. Brünn/Brno). Als Quellen dienten u. a. The Peerage und Geneall.

Infografik Mack-Arco-Marogna